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- Bei schwerwiegenden Verdachtsfällen: Ergebnisse von nicht anonymisierter Mitarbeiterbefragung können Kündigung nach sich ziehen
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) befasste sich mit der Frage, ob sich eine Kündigung unter bestimmten Voraussetzungen auf Ergebnisse einer nicht anonymisierten Mitarbeiterbefragung stützen darf. Was sich auf den ersten Blick etwas bedrohlich liest, löst sich auf, wenn man den Sachverhalt genauer ins Auge fasst, bei dem auch das Machtgefüge in Betrieben eine Rolle spielt.
Ein langjähriger Schichtführer stand im Verdacht, Betriebsmaterial für private Zwecke genutzt und Kollegen während der Arbeitszeit zu privaten Arbeiten gedrängt zu haben. Nach Darstellung des Unternehmens nutzte er seine Stellung aus, um andere unter Druck zu setzen - beispielsweise um private Dinge aus Firmeneigentum für ihn anzufertigen. Um den Vorwürfen nachzugehen, verteilte der Arbeitgeber einen ausführlichen Fragebogen mit rund 150 Fragen an alle Beschäftigten. Abgefragt wurden Beobachtungen zu Arbeitsabläufen, möglichen Pflichtverstößen und dem Verhalten des Schichtführers. Die Antworten waren nicht anonymisiert. Zwar wurde der Betriebsrat über die Maßnahme informiert, seine ausdrückliche Zustimmung lag jedoch nicht vor. Der Schichtführer empfand die Befragung schließlich als Angriff auf seine Person und erklärte, sein Ruf sei beschädigt und er fühle sich in seiner Würde verletzt. Er hielt die Maßnahme für überzogen, unverhältnismäßig und rechtlich unzulässig. Außerdem kritisierte er, dass der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei.
Das LAG sah dies anders und kam zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung durchaus wirksam war. Mehrere Beschäftigte hatten bestätigt, dass der Schichtführer sie zu privaten Arbeiten gedrängt hatte und dafür Betriebsmaterial nutzte. Durch die Kombination aus Pflichtverletzungen und Vorgesetztenrolle war das Vertrauen in ihn dauerhaft zerstört. Damit lag ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 626 Bürgerliches Gesetzbuch vor. Besonders wichtig war die Einschätzung des Gerichts zur Befragung: Diese sei rechtlich zulässig gewesen - auch wenn die Antworten nicht anonymisiert erfolgten. Entscheidend sei gewesen, dass sie einem konkreten Verdacht nachging und verhältnismäßig war. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz sei eine solche Maßnahme im Rahmen der Aufklärung erlaubt. Auch seien die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht verletzt worden, so dass die Befragung ohne dessen Zustimmung zulässig war.
Hinweis: Arbeitgeber dürfen bei schwerwiegenden Verdachtsfällen auch Befragungen im Betrieb durchführen. Wichtig ist, dass die Maßnahme verhältnismäßig bleibt und sich auf einen konkreten Vorwurf bezieht. So kann eine Kündigung rechtlich wirksam abgesichert werden.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 15.01.2025 - 2 SLa 31/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Keine organisatorische Eigenständigkeit: Wahlvorstand scheitert mit Vorbereitung einer Betriebsratswahl
Betriebsräte sind ein scharfes Arbeitnehmerschwert, dem sich Arbeitgeber stellen müssen, um Rechte der Belegschaft zu wahren. Für deren Gründung müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Das Arbeitsgericht Köln (ArbG) befasste sich kürzlich damit, ob ein Wahlvorstand im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Informationen und Unterstützung für eine Betriebsratswahl hat.
Eine Fluggesellschaft mit Sitz in Malta betrieb am Flughafen Köln/Bonn einen sogenannten "Basestandort", an dem eine Gruppe von Beschäftigten eingesetzt war. Ein Wahlvorstand wollte dort einen Betriebsrat gründen und verlangte von seiner Arbeitgeberin Informationen und Materialien, um die Wahl entsprechend vorzubereiten. Diese verweigerte jedoch die Forderungen des Wahlvorstands und berief sich dabei darauf, dass der Standort überhaupt keine eigenständige betriebliche Einheit darstelle.
Das ArbG musste nun prüfen, ob an der Behauptung der Arbeitgeberin etwas dran sei. Dabei kam es schließlich auch zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für einen eigenen Betriebsrat nicht vorlagen. Die Beschäftigten waren organisatorisch eng mit der Zentrale im Ausland verbunden. Vor Ort gab es hingegen keine ausreichende Eigenständigkeit, die eine Betriebsratswahl rechtfertigen konnte. Die Tätigkeiten am Flughafen bezogen sich ausschließlich auf luftverkehrsrechtliche Aufgaben wie Flugabfertigung und Einsatzplanung. Solche Aufgaben genügten nach Ansicht des ArbG nicht, um eine betriebsratsfähige Einheit zu begründen. Zudem stellte das Gericht klar, dass ein Hauptbetrieb im Inland fehlte, an den die Base hätte angebunden werden können. Für die Bildung eines Betriebsrats sei eine solche organisatorische Struktur notwendig. Zudem stellte das Gericht fest, dass keine besondere Eilbedürftigkeit vorlag. Der Wahlvorstand hatte seinerseits bereits erklärt, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. In dieser Situation sah das Gericht keinen Grund, im Wege einer einstweiligen Verfügung vorläufige Rechte zuzusprechen. Ein Abwarten sei zumutbar, da keine gravierenden Nachteile drohten. Damit wurde der Antrag des Wahlvorstands zurückgewiesen.
Hinweis: Ein Standort ist nur dann betriebsratsfähig, wenn er ausreichend organisatorisch selbständig ist. Fehlt diese Voraussetzung, kann dort kein Betriebsrat gewählt werden. Eilrechtsschutz kommt nur in Betracht, wenn eine sofortige Entscheidung unbedingt notwendig ist.
Quelle: ArbG Köln, Beschl. v. 16.07.2025 - 18 BVGa 9/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Pflegebedürftige Angehörige: Keine Arbeitszeitverkürzung, wenn betriebliche Gründe nachvollziehbar dagegen sprechen
Wer sich der Herausforderung stellen will, Angehörige zu pflegen, hofft oft auf Möglichkeiten, seine Arbeitszeiten zu reduzieren. Doch nicht jedem Unternehmen und nicht bei jedem Aufgabenfeld ist eine solche Arbeitszeitverkürzung möglich. Wann ein Arbeitgeber die Reduzierung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers wegen Pflege eines seiner Angehörigen daher ablehnen darf, musste das Arbeitsgericht Suhl (ArbG) entscheiden.
Ein Außendienstmitarbeiter betreute Kunden in Ost- sowie Süddeutschland und arbeitete normalerweise vier Tage vor Ort und einen Tag im Homeoffice. Anfang März 2024 beantragte er eine Reduzierung seiner Arbeitszeit von 40 auf 20 Stunden pro Woche, verteilt auf drei Tage, um seine Eltern mit Pflegegrad 3 zu pflegen. Der Arbeitgeber schaltete daraufhin eine interne und externe Stellenausschreibung für die freiwerdende Teilzeitstelle. Nach einem Monat ohne Bewerber lehnte er den Antrag seines Außenmitarbeiters schriftlich ab. Daher war es nun am Gericht zu prüfen, ob der Antrag wegen dringender betrieblicher Gründe abgelehnt werden durfte.
Das ArbG entschied, dass die Ablehnung in diesem Fall durchaus berechtigt gewesen war. Die Aufgaben des Mitarbeiters konnten schlichtweg nicht aufgeteilt werden, da die Arbeitszeit nicht zum Organisationsplan passte und kein Ersatz durch vorhandene oder neue Mitarbeiter möglich war. Die wenigen Kollegen konnten die Außendiensttermine mit Übernachtungen nicht übernehmen, neue Teilzeitkräfte fanden sich nicht und alternative freie Stellen waren für den Außendienstler einfach nicht geeignet. Das Gericht wies darauf hin, dass der Arbeitgeber nicht prüfen musste, ob Kundenbesuche per Videokonferenz möglich seien. Die Gestaltung der Vertriebsstruktur unterliege schließlich der unternehmerischen Freiheit, und Ersatzkräfte aus anderen Unternehmensteilen müssten nicht berücksichtigt werden. Auch formell war die Ablehnung rechtzeitig erfolgt, obwohl die Stellenausschreibung noch lief.
Hinweis: Eine Reduzierung der Arbeitszeit wegen Pflege kann abgelehnt werden, sobald dringende betriebliche Gründe vorliegen. Dazu zählt vor allem, dass kein Ersatz möglich ist. Die betriebliche Situation sollte dabei stets sorgfältig dokumentiert werden, um den Ablehnungsgrund nachvollziehbar darzustellen.
Quelle: ArbG Suhl, Urt. v. 07.04.2025 - 5 Ca 1138/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Schwerbehinderte Arbeitnehmer: Kein Präventionsverfahren bei fachlich begründeter Kündigung innerhalb der Probezeit
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen gut begründete Sonderrechte, wie etwa einen gesonderten Kündigungsschutz, Zusatzurlaub und auch eine Schwerbehindertenvertretung, sobald regelmäßig wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen im Betrieb beschäftigt sind. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste sich mit der Frage befassen, ob schwerbehinderte Menschen vor einer Kündigung auch in ihrer Probezeit durch ein besonderes Verfahren geschützt sind.
Ein Mann mit einem Grad der Behinderung von 80 begann Anfang 2023 eine Arbeit als Leiter der Haus- und Betriebstechnik in einem Betrieb ohne Betriebsrat und ohne Schwerbehindertenvertretung. Von Beginn an war eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Nach drei Monaten beendete der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, weil er den Mann für fachlich ungeeignet hielt, was auch dem Integrationsamt angezeigt wurde. Der Mann wollte die Kündigung nicht hinnehmen und erhob Klage, denn er meinte, dass sein Arbeitgeber vor der Kündigung ein Präventionsverfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch hätte durchführen müssen. Zudem sei ihm kein Arbeitsplatz angeboten worden, der besser auf seine Behinderung zugeschnitten gewesen wäre.
Das BAG stellte jedoch klar, dass ein Präventionsverfahren nur verlangt werden könne, wenn das Kündigungsschutzgesetz bereits greife - das aber wäre erst nach sechs Monaten der Fall gewesen, denn die Probezeit gehört in die sogenannte Wartezeit. Deshalb musste der Arbeitgeber innerhalb dieser Phase kein Präventionsverfahren einleiten. Auch ein behindertengerechter Arbeitsplatz musste nicht angeboten werden, solange die Kündigung nicht wegen der Behinderung ausgesprochen wurde. Entscheidend war vielmehr, dass die Kündigung auf fachlichen Gründen beruhte und nicht auf der Schwerbehinderung des Mannes. Das BAG betonte zudem, dass eine gegenteilige frühere Entscheidung eines Landesarbeitsgerichts mit dieser Rechtslage nicht vereinbar war. Damit bestätigte das BAG, dass Kündigungen in der Probezeit auch bei schwerbehinderten Beschäftigten möglich waren, ohne dass zuvor ein besonderes Verfahren eingeleitet werden musste.
Hinweis: Ein Präventionsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, wenn das Kündigungsschutzgesetz gegolten hätte. In der Probezeit bestand diese Pflicht hier nicht.
Quelle: BAG, Urt. v. 03.04.2025 - 2 AZR 178/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung: Hohe Abfindung nach sexistischem, übergriffigen und entwürdigenden Verhalten des Geschäftsführers
Dass der Missbrauch der eigenen Machtstellung Vorgesetzte richtig teuer zu stehen kommen kann, zeigt dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Köln (LAG) landete. Auslöser dafür waren zuerst die wiederholten sexistischen Beleidigungen eines Geschäftsführers einer Mitarbeiterin gegenüber und die Tatsache, dass eine Weiterbeschäftigung aufgrund dessen völlig indiskutabel erschien.
Eine langjährige Mitarbeiterin eines Unternehmens hatte sich gegen eine Kündigung gewehrt. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass der Geschäftsführer sie mehrfach sexistisch und respektlos beleidigt hatte. Die Worte waren derart verletzend, dass es für die Frau unmöglich war, weiterhin in der Firma zu arbeiten. Schon das Arbeitsgericht Bonn (ArbG) entschied, dass der Arbeitgeber keinen rechtmäßigen Grund für die Kündigung nennen konnte. Gleichzeitig hielt das ArbG die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar. Deshalb wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst und die Frau erhielt eine Abfindung von 70.000 EUR. Der Arbeitgeber war mit dieser Entscheidung jedoch nicht einverstanden, da er meinte, die Summe sei übertrieben hoch und nicht gerechtfertigt. Nach seiner Auffassung hätte die Frau durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie eigentlich bereit gewesen wäre, im Unternehmen zu bleiben. Er legte daher Berufung ein und der Fall landete beim LAG.
Das Gericht bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz. Es stellte klar, dass die Aussagen des Geschäftsführers weit über das hinausgingen, was im Berufsleben akzeptabel war. Eine Weiterarbeit war der Frau unter diesen Umständen nicht zuzumuten. Auch die Höhe der Abfindung hielt das Gericht grundsätzlich für angemessen. Besonders schwer wog zudem, dass die Frau durch das Verhalten eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hatte. Außerdem war die Kündigung nicht rechtmäßig, sondern sozialwidrig. Das Gericht erkannte an, dass der Geschäftsführer seine Machtposition gezielt eingesetzt hatte, um Druck auf die Frau auszuüben und sie aus dem Unternehmen zu drängen. Am Ende reduzierte das Gericht die Abfindung nur geringfügig und sprach der Frau 68.153,80 EUR zu.
Hinweis: Sexistische oder respektlose Beleidigungen durch Vorgesetzte können nicht nur das Arbeitsklima zerstören, sondern auch erhebliche finanzielle Folgen für den Arbeitgeber nach sich ziehen. Eine Abfindung kann dann besonders hoch ausfallen, wenn die betroffene Person stark unter den Angriffen zu leiden hatte. Gerichte prüfen dabei auch, ob Vorgesetzte ihre Macht bewusst missbrauchten.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 09.07.2025 - 4 SLa 97/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Gesetzlicher Betreuer und Testamentsvollstrecker: Doppelfunktion löst noch keine gesonderte Bestellung eines weiteren Betreuers aus
Ein Ergänzungsbetreuer kann bestellt werden, wenn der eigentliche gesetzliche Betreuer bestimmte Aufgaben nicht wahrnehmen darf, beispielsweise bei Interessenkonflikten. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich im Folgenden mit der durchaus interessanten Frage beschäftigen, ob eine solche Interessenkollision immer anzunehmen ist, wenn ein Betreuer gleichzeitig auch zum Testamentsvollstrecker berufen ist.
Im konkreten Fall stand eine Frau mit Morbus Down und einer mittelgradigen Intelligenzminderung seit vielen Jahren unter Betreuung. Nach dem Tod ihrer Mutter wurde ihre Schwester schließlich als neue gesetzliche Betreuerin eingesetzt. Diese aber war gleichzeitig auch Testamentsvollstreckerin im Nachlass der verstorbenen Mutter. Das von der Mutter errichtete Testament sah vor, dass die betreute Tochter Vorerbin und die Enkelkinder der nun betreuenden Tochter als Nacherben eingesetzt werden sollen. So wurde die Schwester und jetzige Betreuerin der Vorerbin zur Testamentsvollstreckerin benannt, während die Nichte (Tochter der betreuenden Schwester) zudem bei ihr im Haus wohnte und hierfür eine sehr niedrige Miete zahlte, die mit Pflegeleistungen verrechnet wurde. Das Amtsgericht (AG) sah in dieser Konstellation eine mögliche Interessenkollision bei der betreuenden Schwester und deren zusätzlichem Amt als Testamentsvollstreckerin im Nachlass der Mutter. Das AG ordnete die Einsetzung eines Ergänzungsbetreuers an.
Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde war vor dem BGH erfolgreich, die Bestellung des Ergänzungsbetreuers wurde aufgehoben. Der Senat betonte, auch wenn die Schwester gleichzeitig Betreuerin, Testamentsvollstreckerin und zudem auch die Mutter der Nacherben sei, reiche dies nicht aus, automatisch einen Ergänzungspfleger bestellen zu müssen. Hierfür bedarf es vielmehr eines konkreten Hinweises auf Pflichtverletzungen der Betreuerin bzw. ein tatsächliches Risiko, dass die Interessen der betreuten Person beeinträchtigt werden. Die bloße Tatsache, dass jemand gleichzeitig Testamentsvollstreckerin und Betreuerin sei, rechtfertige nach Ansicht des BGH allein noch keine Ergänzungsbetreuung.
Hinweis: Bei bestehenden Interessenkonflikten kann gegebenenfalls eine Mitbetreuung nach Aufgabenbereichen angeordnet werden.
Quelle: BGH, Beschl. v. 25.06.2025 - XII ZB 157/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Testamentsvollstreckung: Zustimmungserklärung eines Erben kann sittenwidrig sein
Ein Testamentsvollstrecker ist berechtigt, Verbindlichkeiten für den Nachlass einzugehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist. Der Erbe ist seinerseits verpflichtet, dazu seine Einwilligung zu erteilen. Zwar ist der Testamentsvollstrecker ein neutraler Nachlassverwalter und kein Interessenvertreter der Erben - dennoch obliegen ihm Prüfpflichten, um die Verwaltung des Nachlasses ordnungsgemäß gewährleisten zu können. Ob dies im Folgenden korrekt abgelaufen ist, musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) klären.
Ein Testamentsvollstrecker verkaufte im Jahr 2020 ein zum Nachlass gehörendes Hausgrundstück zu einem Preis von 90.000 EUR durch notariellen Kaufvertrag. Die Erbin erteilte hierzu zwar ihre Zustimmung, befand sich zu diesem Zeitpunkt aber aufgrund ihres Alters in einem körperlich schwachen Zustand. Ein später eingeholtes Sachverständigengutachten stellte fest, dass der tatsächliche Marktwert des Grundstücks bei 195.000 EUR lag. Als ihr klar wurde, dass der Verkauf deutlich unterhalb des Marktwerts erfolgt ist, verweigerte die Erbin die Herausgabe des Schlüssels und ließ sogar die Schlösser austauschen. Der Erwerber der Immobilie verlangte daraufhin die Herausgabe des Hauses.
Der Mann war mit diesem Herausgabeverlangen nicht erfolgreich, denn das OLG stellte klar, dass der Kaufvertrag sittenwidrig sei und der Kläger daher keinen Anspruch auf Übereignung des Hauses habe. Zwar könne ein Testamentsvollstrecker einen Nachlassgegenstand auch unter Wert verkaufen, sofern die Erbin dem Geschäft zustimme. Hierfür sei aber erforderlich, dass die Zustimmung frei erfolge und die Erbin ausreichend informiert wurde. Sofern eine Zustimmung aber unter sittenwidrigen Umständen eingeholt wird, kann dies zu einer Nichtigkeit des Vertrags führen. Das OLG stellte hierbei fest, dass ein grobes Missverhältnis zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert der Immobilie vorlag. Der tatsächliche Preis lag unterhalb von 50 % des Marktwerts, was ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung darstellte. Zudem sei die Erbin aufgrund ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung stark eingeschränkt gewesen. Sie selbst habe sich zunächst auf eine Preisvorstellung Dritter berufen, die es so tatsächlich nie gegeben hat. Der Testamentsvollstrecker habe sich ohne eine Prüfung auf diese Angaben der Erbin verlassen. Auch der Kläger hätte erkennen müssen, dass es ein grobes Missverhältnis zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Marktwert gegeben habe. Ein Bemühen um eine eigene Bewertung habe es durch den Erwerber nicht gegeben.
Hinweis: Ein als sittenwidrig eingestufter Kaufvertrag macht die Eigentumsübertragung zwar nicht per se unwirksam. Wenn allerdings auch die Zustimmung zur Eigentumsübertragung unter sittenwidrigen Umständen erfolgt ist, führt dies auch zur Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung selbst.
Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 24.07.2025 - 2 U 30/23(aus: Ausgabe 10/2025)
- Unpräzise Nacherbenregelung: Erbe sollte stets konkret benannt und nicht nur umschrieben werden
Im Grunde genommen hatte der Erblasser dieses Falls völlig Recht. Sein Stiefsohn war behindert, und der Mann wollte mit seiner letztwilligen Verfügung sicherstellen, dass es dem Sohn später an nichts fehle und dafür jene Person, die sich besonders gut um ihm kümmern würde, zu dessen Nacherbin werden solle. Erbrechtsinteressierte ahnen jedoch, dass hier etwas Entscheidendes fehlt - und so sah es auch das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG).
Der Erblasser hatte sein eigenhändiges Testament errichtet, den nichtehelichen behinderten Sohn der vorverstorbenen Ehefrau, der zu diesem Zeitpunkt unter Betreuung stand, zum Alleinerben eingesetzt und eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Im Testament hieß es unter anderem, dass nach dem Tod des Sohns diejenige Person erben solle, die "besonders gut mit dem Sohn" konnte. Und so kam es schließlich, dass die langjährige gesetzliche Betreuerin des Sohns nachvollziehbarerweise der Ansicht war, eben diese Person zu sein. Infolgedessen beantragte sie als Nacherbin einen entsprechenden Erbschein.
Das OLG entschied jedoch, dass die letztwillige Verfügung in diesem Punkt zu unbestimmt und daher rechtlich unwirksam sei. Ein Erblasser könne nach dem Willen des Gesetzgebers eine Verfügung nicht in der Weise treffen, dass ein anderer zu bestimmen habe, ob sie gelten solle oder nicht. Es reiche nicht aus, dass man lediglich der Ansicht ist, der Wille sei irgendwie erkennbar. Wer mit der Verfügung gemeint ist, muss objektiv und für jeden Außenstehenden klar nachvollziehbar sein. Nicht ausreichend war für das OLG ebenfalls, dass die Betreuerin über 26 Jahre für den Erblasser zuständig gewesen war und ein zweifellos gutes Verhältnis zwischen ihnen bestanden hatte. Denn diese Beziehung hatte einen beruflich-professionellen Hintergrund und lässt deshalb keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, dass eine solche Person (die zudem auch nicht mit dem Sohn in einer Hausgemeinschaft lebte) mit der Formulierung in dem Testament gemeint gewesen sei. Diese Lücke in der letztwilligen Verfügung kann nicht durch eine Interpretation geschlossen werden.
Hinweis: Gerade bei der Einsetzung von Personen als Erben oder Vermächtnisnehmer ist darauf zu achten, dass diese hinreichend präzise benannt werden, idealerweise zumindest mit Namen.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.07.2025 - 14 W 36/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Unvollstreckbarer Titel: Keine Zahlung an unkonkret benannte Erbengemeinschaft
Eine Erbengemeinschaft ist nicht rechtsfähig, kann somit auch nicht als eigenständige Rechtsperson auftreten, kein Konto eröffnen und auch nicht im eigenen Namen klagen oder verklagt werden. Rechtsinhaber sind immer die einzelnen Miterben gemeinsam - und diese müssen klar benannt sein. Dies führt in der Praxis häufig zu Problemen, wie auch der Fall des Landgerichts Lübeck (LG) zeigt.
Ein Mann klagte eine zivilrechtliche Forderung ein und war in erster Instanz damit auch erfolgreich - doch noch während des Berufungsverfahrens verstarb er. Seine Erben traten daher in den noch laufenden Prozess ein. Auch vor dem Oberlandesgericht hatte die Klage Erfolg, so dass die Beklagten zu zahlen hatten - und zwar nun "an die ungeteilte Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Kläger". Eben jene Erben beantragten daraufhin als Gläubiger dieses Anspruchs beim zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, um das Geld einzutreiben. Den Antrag lehnte das Gericht jedoch mit der Begründung ab, dass nicht eindeutig erkennbar sei, wer denn nun genau Gläubiger der Forderung sei.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde war beim LG erfolglos, denn es legte dar, dass ein Vollstreckungstitel stets klar und eindeutig sein müsse. Aus ihm muss sich ergeben, wer Gläubiger ist und wem die Zahlung zusteht. Dieses Erfordernis wird nicht erfüllt, wenn lediglich an eine "ungeteilte Erbengemeinschaft" geleistet werden soll, ohne dass die Mitglieder der Erbengemeinschaft namentlich benannt werden.
Hinweis: Das Gesetz erlaubt es einzelnen Miterben, eine zum Nachlass gehörende Forderung einzuklagen, dies aber immer nur im Namen aller Miterben. Der Miterbe kann auch immer nur Leistung an die gesamte Erbengemeinschaft geltend machen.
Quelle: LG Lübeck, Beschl. v. 13.08.2025 - 7 T 329/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Widerspruch oder Änderungswille? Ist ein Widerruf nicht eindeutig erkennbar, bleibt vorher getroffene Erbeinsetzung bestehen
Mit der Errichtung eines neuen Testaments kann ein früheres Testament aufgehoben werden - muss es aber nicht. Gerichten wie im Folgenden dem Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) obliegt es bei Vorhandensein mehrerer Testamente, die einzelnen Versionen miteinander abzugleichen und zu prüfen, ob sie einander widersprechen und somit ersetzen, oder ob es mit einem aktualisierten Testament lediglich zu Teiländerungen durch Vermächtnisanordnungen gekommen ist.
Der im Jahr 2021 verstorbene Erblasser war verheiratet und hinterließ keine eigenen Kinder. Darüber hinaus hatte er noch zwei Geschwister, eine Schwester und einen Bruder, der kurz nach dem Erblasser verstarb. In einem notariellen Testament hatte der Erblasser seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Die Schwester des Erblassers wurde als Vermächtnisnehmerin für landwirtschaftliche Grundstücke und die Hälfte eines Kontoguthabens benannt. Die Ehefrau sollte sich zudem um die Beerdigungs- und Grabpflegekosten kümmern. In den Jahren 2014 und 2015 errichtete der Erblasser mehrere handschriftliche Testamente, in denen überwiegend die Grundstücke neu verteilt wurden. Die Grundstücke sollten an den Bruder und die Schwester des Erblassers gehen, die Ehefrau sollte ein lebenslanges Wohnrecht erhalten. Die Ehefrau war der Ansicht, dass sie auch nach der Errichtung der handschriftlichen Testamente Alleinerbin nach dem Erblasser geworden war, die Schwester vertrat die Ansicht, dass durch die nachfolgenden handschriftlichen Testamente die Erbfolge neu geregelt worden sei und die Schwester zusammen mit dem Bruder und der Ehefrau zu Erben berufen seien.
Dieser Ansicht schloss sich das OLG nicht an und entschied, dass die Ehefrau Alleinerbin geworden ist. Zunächst stellte das Gericht klar, dass ein handschriftliches Testament auch ein früheres notarielles Testament aufheben oder ändern könne, ohne dass dies ausdrücklich ausgesprochen wird. Notwendig hierbei ist, dass ein klarer Widerspruch oder Änderungswille auf Seiten des Erblassers erkennbar wird. Da ein ausdrücklicher Widerruf hier nicht erfolgt sei, kam es ausschließlich auf die Frage an, ob ein inhaltlicher Widerspruch der nachfolgenden Testamente zu dem notariellen Testament festgestellt werden konnte - und dies war nach Ansicht des OLG nicht der Fall. Ein Widerspruch liege nur dann vor, wenn sich die alte und die neue Regelung nicht miteinander vereinbaren ließen. Die späteren Testamente betrafen hier vor allem Grundstücke des Erblassers, nicht aber das Gesamtvermögen. Als erheblicher Teil des Vermögens existierte zudem auch ein Wertpapierdepot, das in den späteren Testamenten nicht erwähnt wurde, ebenso wenig gab es eine Neuregelung zu den Beerdigungs- und Grabpflegekosten. Dies führe nach Ansicht des Gerichts dazu, dass der Erblasser nur einzelne Dinge neu regeln wollte, nicht aber die gesamte Erbfolge. Da der Erblasser nur über einzelne Nachlassgegenstände eine neue Verfügung getroffen habe, handelte es sich nur um Teiländerungen durch Vermächtnisanordnungen. Das notarielle Testament blieb in seinem Kern hinsichtlich der Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin daher gültig.
Hinweis: Die Beweislast für das Vorliegen eines Widerrufs trägt derjenige, der sich auf die Aufhebung des Testaments beruft.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.08.2025 - 14 W 100/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Elterliche Sorge: Gemeinsam geschlossener Schulvertrag kann auch nach Scheidung nur gemeinsam gekündigt werden
Wenn man sich scheiden lässt, bleibt die Verbundenheit in manchen Bereichen bestehen - so auch beim Schulvertrag der Kinder. Hat man den als noch verheiratetes Paar geschlossen, kann man ihn nach einer Scheidung auch nur gemeinsam kündigen. Ob sich daran etwas ändert, wenn ein Elternteil befürchtet, den Vertragspflichten nicht mehr ausreichend nachkommen zu können, musste das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) abwägen.
Noch verheiratet und in Ausübung der gemeinsamen Sorge hatten Eltern im eigenen Namen Schulverträge mit einer Privatschule abgeschlossen. Dann ließen sich die Eltern scheiden. Die Verantwortung für Schulangelegenheiten der beiden Kinder wurde gerichtlich dem Vater zur alleinigen Ausübung übertragen. Die Mutter wollte die beiden Schulverträge beenden, der Vater lehnte dies jedoch ab. Also beantragte die Mutter gerichtlich, dass die Verträge aufgelöst werden bzw. dass sie aus den Verträgen entlassen wird. Die Mutter wollte die Kinder gerne in eine Regelschule geben. Allgemein sei sie mit der Schule unzufrieden, auch die Kosten erdrückten sie. Der Vater und die Schule lehnten jedoch ab, die Mutter aus dem Vertrag zu entlassen. Der Vater befürchtete, dass man mit ihm allein keinen neuen Vertrag schließen werde, da die Schule befürchten könnte, er könnte die Kosten nicht alleine schultern.
Die Mutter scheiterte mit ihrem Einwand vor dem OLG. Sie habe schlichtweg keinen Anspruch auf Kündigung der Verträge. Sie müsse sich vielmehr mit dem Vater über deren Fortgeltung einigen. Sie müssen akzeptieren, hierbei als Gesamtschuldnerin verpflichtet zu sein, auch wenn sich das kostensteigernd für sie auswirkt. Wie die Eltern die Kosten unter sich aufteilen, haben sie unterhaltsrechtlich zu klären.
Hinweis: Verträge sind einzuhalten. Das gilt auch nach einer Scheidung. Die Eltern müssen hier eine gemeinsame Basis finden oder eben den Vertrag wie geschlossen erfüllen.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.04.2025 - 10 UF 1180/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Lückenhafte Umgangsvereinbarung: Auch teils nicht vollstreckbare einvernehmliche Einigung kann gerichtlich gebilligt werden
Auf allen Rechtsgebieten kommt es immer wieder zu Streit, weil Vereinbartes nicht konkret genug ausgestaltet wurde. Im hier behandelten Familienrechtsfall fehlte es bei einer Umgangsvereinbarung an einem klaren - auf den ersten Blick in Sachen Umgang unbedingt notwendigen - Detail. Doch dann warf das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) im dagegen gerichteten Beschwerdeverfahren das Kindeswohl in die Waagschale, und das zählt bekanntlich viel.
Vater und Mutter stritten im Beschwerdeverfahren über die Regelung des Umgangs des Vaters mit seiner siebenjährigen Tochter. Das Familiengericht hatte den Umgang des Vaters mit dem Kind für rund acht Monate ausgeschlossen. Dagegen richtete sich dessen Beschwerde. Im Anhörungstermin zur Beschwerde schlossen die Eltern schließlich eine Vereinbarung zum weiteren Umgang. Teilweise enthielt diese Vereinbarung aber keinen vollstreckbaren Inhalt; zum Beispiel fehlten ausdrücklich geregelte Umgangszeiten. Und besonders diese sollten grundsätzlich festgelegt werden, wenn man schon um den Umgang mit dem gemeinsamen Kind streitet. Oder etwa nicht?
Das OLG nahm die getroffene Einigung dennoch an und beendete damit das Beschwerdeverfahren. Der gerichtlichen Billigung stand nicht entgegen, dass die Vereinbarung teilweise keinen vollstreckbaren Inhalt hatte, denn im Umgangsrecht ist die gesetzliche Voraussetzung für die Billigung lediglich eine Kindeswohlprüfung - und eben jenes Kindeswohl wurde durch die getroffene Regelung nicht gefährdet. Es sei zudem anzunehmen, dass die Eltern sich über die Zeiten des Umgangs gesondert einigen, da das Jugendamt die Anbahnung der persönlichen Umgangskontakte weiterhin leiten werde.
Hinweis: Auch wenn das Gericht die Vereinbarung hier billigte, sollten Sie selbst Einigungen, die einvernehmlich zustande kommen, immer so konkret und detailliert wie möglich treffen. Erst dann können Sie das Vereinbarte im Streitfall auch einfach vollstrecken und/oder einklagen. Ohne konkrete Regelung ist dies nicht möglich. Sie können dem Vollstreckungsbeamten dann ja keinen gezielten Auftrag erteilen; er weiß dann schließlich nicht, was er vollstrecken soll.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.07.2025 - 5 UF 171/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Umgangsrecht: Kindeswohlgefährdung rechtfertigt begleiteten Umgang
Familien und deren Umgang mit ihren Kindern sind grundrechtlich geschützt. Aus diesem Grund können begleitete Umgänge grundsätzlich auch nur für sechs Monate angeordnet werden. Begleitete Umgänge für eine längere Zeit oder gar unbefristet sind nur bei vorliegender Kindeswohlgefährdung möglich. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) musste prüfen, ob diese Gefährdung zutrifft und vor allem nicht in absehbarer Zeit nachlassen werde.
Es ging um den Umgang zweier Kinder - das eine neun, das andere sechs Jahre alt. Die ukrainischen Eltern wurden in der Ukraine bereits geschieden. Die Mutter flüchtete schließlich vor dem Krieg mit den Kindern nach Deutschland. Der Vater hatte dem zugestimmt, blieb selbst aber in der Ukraine. Erst zwei Jahre später kam auch er nach Deutschland, nachdem er in der Zwischenzeit telefonisch Kontakt mit seinen Kindern gehalten hatte. Es entbrannte schließlich Streit um das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge der beiden. Die Mutter hatte Angst, dass der Vater die Kinder in die Ukraine rückführen wolle, zudem boykottierte er aus Glaubensgründen nötige Schutzimpfungen der Kinder. Im Umgangsverfahren einigte man sich schließlich darauf, dass der Vater die Kinder wöchentlich sehen dürfe - dies jedoch stets in Anwesenheit der Kindesmutter. Der Vater wollte hingegen einen unbegleiteten Umgang erreichen, zog dafür abermals vor Gericht und konnte dort immerhin einen Teilerfolg verbuchen.
Das OLG entschied, dass die begleiteten Umgänge zu befristen sind und für die Folgezeit unbegleitete Umgänge geregelt werden sollen. Die Anordnung begleiteter Umgänge sei zwar zu Recht erfolgt - diese seien aber zu befristen. Unbefristete Begleitung kann bei Kindeswohlgefährdung angeordnet werden, beispielsweise wenn sich Kinder und Eltern total entfremdet haben. Ist aber bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung absehbar, dass im Anschluss an die Umgangsbegleitung unbegleitete Umgänge in Betracht kommen, sind die Begleittermine zu befristen. Zudem ist eine Anschlussregel hinsichtlich des unbegleiteten Umgangs zu treffen. Andernfalls würde nur eine Teilentscheidung getroffen werden, was in Umgangssachen aber nicht zulässig ist. Sollte sich die der Entscheidung zugrundeliegende Prognose - unbegleitete wöchentliche Umgänge ohne Übernachtung - als falsch erweisen, steht den Eltern dann immer noch ein Abänderungsverfahren offen.
Hinweis: Wer eine dauerhafte Begleitung erreichen möchte, muss eine konkrete Kindeswohlgefährdung vortragen können. Ist dies nicht glaubhaft möglich, wird eine Begleitung stets nur befristet angeordnet.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 23.07.2025 - 6 UF 79/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Verfahrensrecht: Akteneinsicht muss rechtzeitig beantragt oder aber das Interesse daran im Nachgang begründet werden
Wird der Umgang gerichtlich geregelt, haben die Verfahrensbeteiligten ein Akteneinsichtsrecht. Ist das Umgangsverfahren allerdings abgeschlossen, besteht das Recht auf Akteneinsicht nur, wenn von dem jeweiligen Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Einsicht dargelegt und glaubhaft gemacht wird. Auf eine derartige Begründung einer Mutter zählte im Folgenden auch das Amtsgericht Hof (AG).
Die Eltern eines 2018 geborenen Kindes haben sich scheiden lassen. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ist bei der Kindsmutter. Der beauftragte Sachverständige im Umgangsverfahren hatte telefonisch mitgeteilt, dass er den Umgangsausschluss des Vater empfehle. Das AG hat daraufhin im Wege der einstweiligen Anordnung den Umgang des Kindsvaters mit dem Kind unter Anordnung von Schutzmaßnahmen ausgesetzt. Dieser Beschluss wurde der Kindsmutter zugestellt. Erst nach Abschluss des Verfahrens hat der Anwalt der Mutter die Akteneinsicht beantragt. Das Gericht wies ihn jedoch darauf hin, dass das Verfahren abgeschlossen sei und er dementsprechend ein berechtigtes Interesse darlegen müsse. Der Anwalt tat dies nicht - der Antrag auf Akteneinsicht wurde abgelehnt.
Ohne berechtigtes Interesse keine Akteneinsicht - so könnte man die Entscheidung des AG salopp zusammenfassen. Sobald ein Verfahren abgeschlossen ist, muss ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht vorgetragen werden. Ein solches berechtigtes Interesse liegt etwa dann vor, wenn Rechte des Antragstellers durch den Streitstoff der Akten berührt werden können und die Kenntnis über den Akteninhalt zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Da hier nichts Derartiges vorgetragen wurde, musste der Antrag abgelehnt werden.
Hinweis: Das berechtigte Interesse des Beteiligten eines abgeschlossenen Verfahrens an der Akteneinsicht wird von den Gerichten meist bejaht und die Akteneinsicht gewährt. Wichtig ist, dass ein Interesse wenigstens benannt wird. Hohe Anforderungen werden hier nicht gestellt. Wenn wie hier gar nichts vorgetragen wird, wird der Antrag abgelehnt. Machen Sie sich also die Mühe und benennen Sie ein Interesse oder prüfen Sie, ob Ihr Rechtsbeistand das getan hat!
Quelle: AG Hof, Beschl. v. 18.08.2025 - 001 F 648/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Wirkungsloser Beschluss: Möglichkeit der Berichtigung von Fehlern hat in Entscheidungen ihre Grenzen
Da irren menschlich ist, kommen auch bei Gericht Zahlendreher vor oder wird ein Name falsch geschrieben. Sind diese Fehler offensichtlich, kann man sie schnell und unbürokratisch berichtigen. Gibt es aber Fehler, über die man nicht einfach hinwegsehen kann, um sie "eins, fix, drei" zu korrigieren, machen diese einen gerichtlichen Beschluss schnell unwirksam. Ob auch in diesem Fall das Verfahren neu aufgerollt werden musste, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Ein Jugendamt klagte auf Festsetzung einer Unterhaltsverpflichtung für ein Kind, das bei seinem Vater lebte, der somit auch das Kindergeld bezog. Der Antrag des Jugendamts richtete sich gegen die Mutter. Das Gericht setzte aber aus unerfindlichen Gründen auf die klassische Rollenverteilung und den Unterhalt daher gegen den Vater statt gegen die Mutter fest und stellte diesen Beschluss auch nur an ihn zu. Der Vater staunte da natürlich nicht schlecht. Die daraufhin erfolgte Bitte des Jugendamts um Korrektur sah eine Rechtspflegerin ganz pragmatisch und tauschte schlicht und ergreifend den Vater gegen die Mutter aus - nur namentlich, versteht sich. Dagegen wandte sich dann jedoch die Mutter im Wege der Rechtsbeschwerde an das OLG. In einem Berichtigungsbeschluss können Verfahrensbeteiligte nicht einfach ausgetauscht werden. Der ursprüngliche Beschluss sei ihr auch niemals zugestellt worden.
Und sie behielt Recht. Schon der erste Beschluss an den Vater sei wirkungslos gewesen, da gegen diesen gar kein Verfahren rechtshängig war - das Jugendamt hatte sich schließlich gegen die Mutter gerichtet. Dieser wurde der Beschluss aber nie zugestellt. Diese Zustellung ist für den Unterhaltsfestsetzungsantrag aber eine notwendige Voraussetzung für die Rechtshängigkeit. Auch die später gegen die Mutter ergangene Entscheidung ist wirkungslos. Die Grenzen einer möglichen Berichtigung sind hier überschritten worden. Hier wurden keine Fehler korrigiert, sondern Personen ausgetauscht. Eine (rechtlich) unbeteiligte Person hat man so zur Verfahrensbeteiligten gemacht. Daher sei nun eine Fortsetzung des Verfahrens erforderlich. Mit dieser Begründung verfügte das OLG die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Hinweis: Auch Fehler im Namen einer Person können verbessert werden, solange klar bleibt, dass es sich um dieselbe Person handelt. Verwechselt das Gericht aber Personen, dann muss es den Fall neu aufrollen, eventuell Prozesshandlungen nachholen. Es kann nicht einfach Entscheidungen "umschreiben".
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.08.2025 - 6 UF 146/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Eigenbedarfskündigung: Wer sich auf die Härtefallregelung stützen möchte, muss den Härtefall belegen können
Die Eigenbedarfskündigung schwebt wie ein Damoklesschwert über Wohnraummietern. Zwar wird auch immer wieder eine derartige Kündigung gerichtlich abgewehrt. Doch wie der Fall vor dem Amtsgericht Brandenburg (AG) beweist, hat der Eigentümer erstens die Entscheidungsbefugnis über seinen Wohnbedarf und der Mieter zweitens eine nicht unbeachtliche Nachweispflicht, was die Geltendmachung der Härtefallregelung nach § 574 Bürgerliches Gesetzbuch angeht.
Der Vermieter kündigte in diesem Fall seiner Mieterin die Wohnung, weil seine schwerkranke Schwester dort einziehen sollte. Die Mieterin widersprach der Kündigung und erklärte, ein Auszug wäre für sie unzumutbar. Sie sei körperlich und psychisch krank, und ein Umzug könnte ihren Gesundheitszustand stark verschlechtern oder sogar zu Suizidgedanken führen. Der Vermieter argumentierte, dass seine Schwester die Wohnung dringend benötige, da sie sich seit ihrer Erkrankung nicht mehr in ihrer bisherigen Wohnung aufhalten könne und auf die neue Wohnung warte.
Das AG entschied, dass die Räumung der Wohnung zulässig war. Die Kündigung war wirksam, der Eigenbedarf nachvollziehbar und nachweislich vorhanden. Das Gericht prüfte dabei nicht, ob die Wohnung objektiv notwendig sei, sondern akzeptierte die Entscheidung des Eigentümers über den Wohnbedarf. Eine unzumutbare Härte lag zudem nicht vor, weil keine konkrete Verschlechterung der Gesundheit der Mieterin nachgewiesen wurde. Nur mögliche Depressionen oder Suizidgedanken reichten nicht aus, um die Interessen der Schwester zu überwiegen. Auch müsse die Mieterin die üblichen Nachteile eines Umzugs - wie finanzielle Belastungen - hinnehmen. Wichtig ist, dass ein Mieter nur dann eine Härte geltend machen kann, wenn er sich bereits ernsthaft und nachweislich um Ersatzwohnraum bemüht hat. Im vorliegenden Fall war das nicht geschehen.
Hinweis: Eigenbedarfskündigungen können auch bei schwerkranken Mietern durchgesetzt werden, wenn die Härte nicht konkret nachweisbar ist. Mieter sollten rechtzeitig nach einer Ersatzwohnung suchen, um eine solche Härte entsprechend geltend zu machen. Die Entscheidung des Eigentümers über den Wohnbedarf ist für das Gericht bindend.
Quelle: AG Brandenburg, Urt. v. 27.03.2025 - 30 C 99/23(aus: Ausgabe 10/2025)
- Eigentümergemeinschaft: Inhaltliche Änderung im Umlaufbeschluss erfordert statt einfacher Mehrheit die Zustimmung aller
Mit einem Umlaufbeschluss werden Beschlüsse statt per Zusammenkunft der Beteiligten nur auf schriftlichem Weg gefasst. Das Amtsgericht Köln (AG) musste sich im hier behandelten Fall mit einem solchen Umlaufbeschluss in einer Wohnungseigentümergemeinschaft beschäftigen. Es ging dabei um die Bestellung von Mülltonnen und darum, ob ein Antrag im Umlaufverfahren einfach so geändert werden darf - und wenn ja, welcher Mehrheiten es dann bedarf, um Gültigkeit zu erlangen.
Ein Wohnungseigentümer wollte, dass im Umlaufverfahren über eine Wertstofftonne mit einer bestimmten Größe abgestimmt wird. Die Eigentümergemeinschaft hatte zuvor in einer Versammlung beschlossen, dass ein Umlaufbeschluss über drei 770-Liter-Container gefasst werden sollte. Die Verwalterin startete dann das Umlaufverfahren, setzte aber dabei eine 240-Liter-Tonne als neue Variante ein. Dieser Beschluss wurde mit Mehrheit angenommen - gegen die Stimmen der beiden Eigentümer, die nun klagten. Sie argumentierten, dass hier alle Eigentümer hätten zustimmen müssten, weil der neue Antrag nicht vom ursprünglichen Versammlungsbeschluss gedeckt war.
Das AG gab den klagenden Eigentümern recht und erklärte den Umlaufbeschluss für ungültig. Nach § 23 Wohnungseigentumsgesetz darf ein Umlaufbeschluss über einen konkreten Gegenstand nur mit einfacher Mehrheit gefasst werden, sofern dieser Gegenstand genau dem entspricht, was zuvor beschlossen wurde. Wird der Inhalt geändert - wie hier das Fassungsvermögen der Mülltonne -, ist hingegen die Zustimmung aller Eigentümer nötig. Das Gericht stellte klar, dass die Verwalterin nicht einfach eine andere Variante auswählen darf. Entscheidend war, dass der ursprünglich beschlossene Antrag eine bestimmte Lösung vorsah und die neue Variante nicht durch diesen Beschluss gedeckt war. Damit sind Änderungen im Umlaufverfahren ohne Zustimmung aller Eigentümer nicht zulässig, selbst wenn die Mehrheit für die neue Lösung stimmt.
Hinweis: Ein Umlaufbeschluss muss sich genau an den zuvor gefassten Antrag halten. Ändert sich der Inhalt, braucht es die Zustimmung aller Eigentümer. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig genaue Abstimmungsregeln in Eigentümergemeinschaften sind.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 14.04.2025 - 215 C 57/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Hausgeldzahlung: Streit um Rückstände in der Wohnungseigentümergemeinschaft
Viele Mieter träumen von der eigenen Immobilie. Dass auch diese nicht ohne Pflichten zu haben ist, was zwischenmenschliche Kooperation und vor allem auch das liebe Geld angeht, zeigt sich regelmäßig vor den Gerichten. Das Amtsgericht Dortmund (AG) musste sich mit Forderungen einer Eigentümergemeinschaft in Sachen Hausgeld zu beschäftigen - also dem anteiligen Beitrag jedes Eigentümers für laufende Betriebskosten sowie nicht umlegbare Nebenkosten wie Instandhaltungsrücklagen.
Der hier Beklagte gehörte zu einer Eigentümergemeinschaft, die rückwirkend für den Zeitraum von Januar 2023 bis Dezember 2024 Hausgeld forderte: Nach Abzug einer bereits geleisteten Zahlung sollte der Mann noch satte 42.144 EUR zahlen. Für den Mann ein nicht nachvollziehbarer Betrag. Doch in einer Eigentümerversammlung hatten die Eigentümer beschlossen, dass die Vorschüsse für das Jahr 2023 gültig und Unterschiede zwischen alten und neuen Vorschüssen zum Fälligkeitstermin zu zahlen sind, dass das monatliche Hausgeld bis zum dritten Werktag eines Monats auf das Konto der Wohnungseigentümergemeinschaft überwiesen werden muss und dass gestundetes Hausgeld im Verzugsfall verfällt. Der Beklagte meinte hingegen, es seien ihm die Unterschiedsbeträge zwischen den alten und neuen Vorschüssen unklar und somit auch, wie die Zahlungen berechnet wurden. Zweitens sei ebenso unklar, ob das Gemeinschaftskonto wirklich auf die Eigentümer laufe. Und drittens brachte er vor, dass eine seiner Wohnungen inzwischen verkauft worden sei.
Das AG entschied dennoch, dass der Beklagte die geforderten 42.144 EUR zahlen muss. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung waren nach § 28 Wohnungseigentumsgesetz gültig und klar genug formuliert. Mithilfe der Einzelwirtschaftspläne seien die dem Beklagten "unklaren" Zahlbeträge genau nachvollziehbar; die Differenz zu früheren Beiträgen müsse daher nicht explizit im Beschluss stehen. Es spielte auch keine Rolle, dass das Gemeinschaftskonto kein spezielles Eigenkonto war. Dass die Zahlungen auch bar möglich seien, entkräftet dieses Argument. Auch die rückwirkende Festlegung der Vorschüsse war nach Ansicht des AG zulässig, da die Bedingung erfüllt wurde, einen derartigen Beschluss noch im laufenden Wirtschaftsjahr zu fassen. Der Verkauf einer Wohnung änderte auch nichts am geforderten Gesamtbetrag, da der Beklagte zum Zeitpunkt der Fälligkeit noch im Grundbuch stand. Ein Zurückbehaltungsrecht bestand daher nicht.
Hinweis: Eigentümer müssen Hausgeld fristgerecht zahlen, auch wenn Unklarheiten zu den Konten bestehen. Rückwirkende Vorschüsse sind im laufenden Jahr erlaubt. Verkauft ein Eigentümer seine Wohnung, bleibt er bis zur Grundbucheintragung zahlungspflichtig.
Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 26.06.2025 - 514 C 112/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Unterschriebenes Rückgabeprotokoll: Mieterin kann sich im Nachhinein nicht auf verschwiegene Mängel berufen und Minderung fordern
Auf jedem Rechtsgebiet gibt es Fälle, die sich darum drehen, was eine Unterschrift unter welchen Voraussetzungen wert sei - sprich, wie bindend sie ist. Hier ging um die Frage, ob eine Mieterin nachträglich Mängel geltend machen kann, obwohl sie ein Rückgabeprotokoll ohne derlei Erwähnung unterschrieben hatte. Das Amtsgericht Hanau (AG) hat dazu eine eindeutige Meinung.
Die Mieterin hatte beim Auszug ein Protokoll unterschrieben, in dem die Wohnung als mangelfrei beschrieben wurde. Später behauptete sie jedoch, die Wohnung sei während der Mietzeit mangelhaft gewesen, und wollte die Miete mindern. Die Vermieter forderten ihrerseits während des Prozesses die ausstehenden Mietzahlungen ein.
Das AG entschied im Sinne der Vermieter, dass die Mieterin die Miete nachzahlen müsse. Schließlich legte das unterschriebene Protokoll den Zustand der Wohnung eindeutig fest. Ein Rückgabeprotokoll diene dazu, den Zustand bei Ein- oder Auszug verbindlich zu dokumentieren, damit später keine Partei etwas anderes behaupten könne. Es spiele dabei keine Rolle, ob die Mieterin die Mängel aus Sorge nicht angegeben habe, von den Vermietern selbst für diese verantwortlich gemacht zu werden. Auch frühere Mängel könnten hier nicht geltend gemacht werden, weil die Mieterin den Vermietern widersprochen hatte, dass überhaupt Mängel behoben worden seien. Der Logik nach wären diese dann ja noch vorhanden, was das Protokoll jedoch nicht darstellte. Damit war das Protokoll bindend und zeigte einen mangelfreien Zustand bei Auszug. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Hinweis: Ein unterschriebenes Rückgabeprotokoll gilt als verbindlich. Mieter sollten Mängel vor der Unterschrift sorgfältig prüfen und dokumentieren. Spätere Mietminderungen sind meist ausgeschlossen, wenn das Protokoll korrekt erstellt wurde.
Quelle: AG Hanau, Urt. v. 11.04.2025 - 32 C 37/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Zulässige Wuchshöhe: Bäume und Sträucher werden von dem Punkt aus gemessen, an dem sie aus der Erde treten
Wie die zulässige Höhe von Bäumen und Sträuchern an der Grenze zu einem Nachbargrundstück gemessen wird, musste der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden. Im Mittelpunkt stand ein Grundstücksstreit zwischen Nachbarn in Baden-Württemberg, bei dem die Gerichte zuerst unterschiedlicher Meinung waren. Die zentrale Frage war hierbei, welchen Einfluss die Grundstücksaufschüttung um 1 m auf die zulässige Pflanzenhöhe hat.
Die Parteien vor dem BGH waren Nachbarn. Davon hat die eine Seite ihr Grundstück beim Hausbau 1994 um einen Meter aufgeschüttet und an der Grenze einen portugiesischen Lorbeerbaum, einen Fliederbaum, eine Kreppmyrte und einen Rosenstrauch gedeihen lassen. Die Nachbarn verlangten nun, dass diese Pflanzen jährlich zwischen Oktober und Februar auf bestimmte Höhen - gemessen vom Boden ihres eigenen Grundstücks aus - gekürzt werden. Das Amtsgericht (AG) gab dem Wunsch teilweise Recht. Es entschied, dass Lorbeer, Flieder und Myrte bis auf 1,80 m zurückzuschneiden seien, und zwar vom Niveau aus gemessen, von dem die Gewächse aus der Erde treten. Der Rosenstrauch dürfe ungekürzt sein weiteres Dasein fristen. Das nachfolgende Landgericht (LG) änderte dann aber die Kürzungsmaße, da es von der Grundstücksfläche der Nachbarn aus maß, das ja rund 1 m tiefer lag.
Der BGH hob das Urteil des LG auf. Es entschied, dass die Höhe ab dem Punkt zu messen ist, an dem die Pflanzen aus dem Boden treten - also so, wie zuerst vom AG bewertet. Dabei galt: Die zulässige Höhe richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben des Landesnachbarrechts Baden-Württembergs, also dem Land, in dem der Fall seinen Anfang nahm. Demnach dürfen Bäume und Sträucher je nach Abstand zur Grundstücksgrenze bestimmte Höhen nicht überschreiten - bei 2 m Abstand maximal 1,80 m, bei 3 m Abstand bis 4 m. Die künstliche Aufschüttung des Grundstücks spiele dabei nur eine Rolle, wenn sie gleichzeitig mit der Pflanzung erfolgt ist, um die Höhenbegrenzung zu umgehen. Das war hier jedoch nicht der Fall gewesen. Daher mussten die Pflanzen auf die gesetzlich erlaubte Höhe zurückgeschnitten werden - und zwar gemessen vom ursprünglichen Bodenaustritt.
Hinweis: Die zulässige Höhe von Pflanzen an Nachbargrenzen wird grundsätzlich von der Stelle aus gemessen, an der sie aus dem Boden wachsen. Künstliche Aufschüttungen, die später erfolgten, ändern dies nicht. Der Schnitt darf nur in den vorgeschriebenen Zeiten erfolgen.
Quelle: BGH, Urt. v. 27.06.2025 - V ZR 180/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Beschaffenheitsvereinbarung bei Autokauf: Zustandsnote gilt als konkrete Auskunft über Erhaltungszustand eines Oldtimers
Das Schulnotenprinzip wird von klein auf so stark verinnerlicht, dass es sich auch im Erwachsenendasein als Bewertungsskala überall wiederfindet. So ist es auch im Bereich der Gebrauchtwagenverkäufe. Doch Vorsicht: Wer eine solche Einschätzung zum Erhaltungszustand in den Kaufvertrag aufnimmt, steht dafür gerade, dass sich der Käufer im Ernstfall darauf stützen darf. Dieser Ernstfall war vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ein bei der Hauptuntersuchung (HU) durchgefallener Oldtimer.
Der Kläger erwarb im Jahr 2020 im Rahmen eines Privatkaufs einen MG Typ B Roadster, Baujahr 1973 mit H-Zulassung. Der Beklagte hatte für dieses Fahrzeug eine Verkaufsanzeige auf einer Onlineplattform geschaltet. Dort war als Zustandsnote "2-3" angegeben und Bezug genommen worden auf bereits vorliegende Gutachten. Als der neue Halter Anfang des Jahres 2022 das Fahrzeug zur HU vorstellte, wurde die Erteilung einer Prüfplakette wegen erheblicher Mängel abgelehnt - unter anderem wegen starker Korrosion. Nach erfolgloser Aufforderung zur Mangelbeseitigung erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte mit seiner Klage vom Beklagten im Wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Klage hat in den Vorinstanzen zunächst keinen Erfolg gehabt, die Revision des Klägers hingegen schon.
Der BGH entschied nun, dass hier eine Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend vorlag, dass das Fahrzeug einen der Zustandsnote "2-3" entsprechenden Zustand aufweise - also einen im mittleren Bereich zwischen den Zustandsnoten "2" und "3" liegenden Erhaltungszustand nach den üblichen Bewertungskriterien. Ob im Einzelfall eine Beschaffenheitsvereinbarung gegeben ist, ist eine Frage der nach beiden Seiten hin interessengerechten Vertragsauslegung. Der Angabe einer Zustandsnote durch den Verkäufer kommt aus Sicht des Käufers die Aussage zu, dass sich das Fahrzeug in einem dieser Zustandsnote entsprechenden Erhaltungszustand befinde und der Verkäufer für das Vorliegen dieses Zustands die Gewähr übernehme. Es ist deshalb von einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen. Die Bezugnahme auf die Gutachten im Zusammenhang mit dieser Angabe war nicht so zu verstehen, dass der Beklagte auf die Gutachten als fremde Quellen verweisen und zum Ausdruck bringen wollte, dass es sich bei der angegebenen Zustandsnote um fremdes Wissen handele, für das er nicht einstehen wollte. Denn zum einen entsprach die im Kaufvertrag angegebene Zustandsnote von "2-3" weder der Zustandsnote aus einem der Gutachten noch ergab sie sich etwa aus der Bildung eines Mittelwerts der Bewertungen dieser Gutachten. Der BGH verwies deshalb die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Berufungsgericht.
Hinweis: Wird beim Verkauf eines Oldtimers eine Zustandsnote im Kaufvertrag angegeben, stellt diese regelmäßig eine Beschaffenheitsvereinbarung dar. Die Verwendung von Zustandsnoten für die Einstufung des Erhaltungszustands von Oldtimern in einem mehrstufigen Bewertungsmodell ist allgemein gebräuchlich und branchenüblich. Diese allgemein bekannten und anerkannten Zustandsnoten geben konkret Auskunft über den Erhaltungszustand eines Oldtimers. Sie haben maßgeblichen Einfluss auf den Wert und damit auch den Kaufpreis des Fahrzeugs.
Quelle: BGH, Urt. v. 23.07.2025 - VIII ZR 240/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Nach berührungslosem Unfall: Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile
Bei einem berührungslosen Unfall kann der Schaden dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, sobald er bei einem Überholvorgang durch eine Ausweichreaktion ausgelöst worden ist. Das Oberlandesgericht Schleswig (OLG) musste im Folgenden prüfen und bewerten, ob dieses "Kann" im behandelten Fall zutrifft - also einer von zwei Verkehrsteilnehmern haften müsse - oder eine diesbezügliche Klage eher abzuweisen sei.
Die Klägerin beabsichtigte, mit ihrem Motorrad links in eine Grundstückszufahrt einzubiegen, wobei sie jedoch den Blinker nicht gesetzt hatte. Der Beklagte passierte mit seinem Pkw die Klägerin, die daraufhin aus ungeklärten Umständen mit ihrem Motorrad stürzte und sich einen Bruch des Oberarmknochens zuzog. Das zunächst zuständige Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Berufung vor dem OLG ein - dies jedoch erfolglos.
Das OLG hat in einem Hinweisbeschluss darauf hingewiesen, dass die Berufung keinen Erfolg haben werde, da der Beklagte den Sturz der Klägerin nicht verursacht hatte. Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer beider beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten in Form einer Abstandsunterschreitung konnte von der Klägerin nicht bewiesen werden. Die vom LG vernommene Zeugin hatte glaubhaft bekundet, dass der Beklagte in einem ausreichenden Sicherheitsabstand von etwa 1,5 m bis 2 m an dem Motorrad der Klägerin vorbeigefahren sei. In der Regel reiche ein Seitenabstand von 1 m aus. Demgegenüber lag ein eindeutiger Verstoß der Klägerin beim Linksabbiegen vor, da diese nicht nach links geblinkt habe und zudem ihrer doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen sei.
Hinweis: Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat. Dies konnte nicht bewiesen werden. Das Gericht hat zudem darauf hingewiesen, dass der gemäß § 5 Abs. 4 Satz 3 Straßenverkehrs-Ordnung geltende Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 m beim Überholen innerorts nicht für das Überholen von Motorrädern gilt.
Quelle: OLG Schleswig, Beschl. v. 02.06.2025 - 7 U 23/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Schadensminderungspflicht: Keine Nutzungsausfallentschädigung bei Vorhandensein weiterer Fahrzeuge
Ein Unfall zieht mit den entstandenen Schäden Verzicht und Aufwand nach sich. Relatives Glück dabei hat der schuldlos am Unfall Beteiligte, der entsprechenden Ersatz vom gegnerischen Versicherer erwarten kann. Doch so großzügig sich Versicherer manchmal zeigen: Nicht alles ist ersatzfähig. Dass das selbst dann gilt, wenn auf das Privatfahrzeug eine Zeitlang verzichtet werden muss, zeigt diese Entscheidung des Landgerichts Hamburg (LG).
Ein Autofahrer wurde unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, wobei sein Fahrzeug (ein Straßenrennwagen der Marke Donkervoort) erheblich beschädigt wurde. Neben den Reparaturkosten forderte der Geschädigte Nutzungsausfall für die Dauer der Reparatur. Die Versicherung verweigerte die Zahlung und berief sich darauf, dass dem Geschädigten zwei weitere Fahrzeuge zur Verfügung stünden - nämlich ein BMW Z 4 und ein 3er BMW als Dienstwagen auch zur privaten Nutzung. Es sei daher kein Nutzungsentzug gegeben.
Das LG gab der Versicherung recht. Es sei dem Geschädigten im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht durchaus zumutbar, die weiteren vorhandenen Fahrzeuge zu nutzen. Der Geschädigte hatte selbst vorgetragen, dass er für Alltagsfahrten diese ihm zur Verfügung stehenden Fahrzeuge nutze, den verunfallten Wagen hingegen nur für Ausflugsfahrten oder Treffen mit anderen Autoliebhabern. Für eben jene Zwecke seien die BMWs nach Meinung des Geschädigten schlichtweg nicht geeignet. Der Zweck, mit einem Auto im Rahmen von Ausfahrten und Treffen mit anderen Autoliebhabern prahlen zu wollen, ist nach Ansicht des Gerichts nicht ausschlaggebend und somit auch nicht ersatzfähig, da es sich nicht um einen Vermögenswert handelt. Auch das Argument, dass bei Verwandtenbesuchen ein Koffer mitgenommen würde und der Steuerberater als Beifahrer mitfahre, um Fachgespräche zu führen, ist nicht zu berücksichtigen - schließlich fänden sowohl Koffer als auch Steuerberater in den BMW-Fahrzeugen Platz.
Hinweis: Nach allgemeiner Rechtsauffassung stellt die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen und damit - in Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln - das Fortkommen im allgemeinsten Sinne zu fördern.
Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 20.05.2025 - 308 O 98/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Tesla online gekauft: Zulässige Widerrufsbelehrung ohne Telefonnummer und Kostenangaben zur Rücksendung
Wer seine Geschäfte rechtlich sauber betreiben will, ist gut beraten, zur eigenen Absicherung offizielle Mustertexte zu nutzen, so zum Beispiel auch für Onlineverkäufe. Gezwungen ist hierzu niemand, solange er eigene Texte nutzt, die ebenso rechtlich wasserdicht sind wie die Mustervorlagen. Das Landgericht Frankenthal (LG) musste prüfen, ob Tesla bei seinen Onlineverkäufen trotz Fehlens einiger Eckpunkte die rechtlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts erfüllt hat.
Ein Mann hatte über eine Onlineplattform einen neuen Tesla für mehr als 65.000 EUR gekauft. Tesla hatte dem Bestellformular eine selbst entworfene Widerrufsbelehrung beigefügt. Ende Dezember 2022 wurde das Fahrzeug ausgeliefert. Der Käufer nutzte es ein knappes Jahr, wollte es dann aber wieder loswerden und berief sich auf zahlreiche Mängel, die seitens Tesla sämtlich bestritten wurden. Ende November 2023 widerrief der Mann schließlich den Vertrag unter Hinweis auf sein gesetzliches Widerrufsrecht als Onlinekäufer. Er sei nicht ordnungsgemäß belehrt worden, weil Tesla nicht die gesetzliche Musterbelehrung verwendet habe. Das stattdessen genutzte Formular sei dagegen nicht hinreichend klar abgefasst, die Telefonnummer der Firma sei nicht angegeben, und über die Höhe der Rücksendekosten des Fahrzeugs werde darin nicht aufgeklärt. Der Widerruf sei daher trotz des Zeitablaufs wirksam und er schulde aufgrund der fehlerhaften Belehrung auch keinen Ersatz für die Nutzung des Fahrzeugs.
Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs wurde vom LG abgewiesen. Der Käufer habe nach mehr als einem Jahr kein Recht mehr, den Onlinevertrag zu widerrufen. Tesla habe von der gesetzlich vorgesehenen Musterbelehrung abweichen dürfen; diese sei lediglich ein Vorschlag für einen rechtssicheren Weg. Auch im hier verwendeten Text seien die Voraussetzungen des Widerrufsrechts deutlich und konkret genug benannt. So waren weder die Angabe der Telefonnummer noch Angaben zu den Kosten der Rücksendung des Pkw gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Der Onlinekäufer wurde in Augen des LG demnach ausreichend über sein Widerrufsrecht informiert. Auch die daneben geltend gemachten Mängel am Fahrzeug habe der Käufer sämtlich nicht nachgewiesen.
Hinweis: Neufahrzeuge werden heutzutage häufig online gekauft. Verbrauchern steht dabei grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu, das sie nicht begründen müssen und über das sie der Verkäufer ordnungsgemäß belehren muss. Wenn die Widerrufsbelehrung beim Onlinekauf eines Pkw die Voraussetzungen des Widerrufsrechts deutlich und konkret benennt, kann der Verkäufer von der gesetzlichen Musterbelehrung abweichen.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2025 - 4 O 114/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Ungeeigneter Berufskraftfahrer: Keine Berücksichtigung von beruflichem Härtefall bei Erreichen von acht Punkten
Das Beste, was für eine verlässliche Zukunft mit Führerschein spricht, ist eine weiße Weste in Sachen Punktekonto. Doch schnell kommt diesem Vorsatz das echte Leben dazwischen, das man praktisch leider selten so gut bewältigt wie in der Theorie. Besonders Berufskraftfahrer sollten daher immer genau wissen, wann besser Schluss ist mit den Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr - denn das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) zeigt: Bei acht Punkten ist "die Pappe" weg.
Einem Berufskraftfahrer wurde die Fahrerlaubnis entzogen, da er im Fahreignungsregister acht Punkte angesammelt hatte. Daher legte er Einspruch ein und beantragte, die sogenannte aufschiebende Wirkung wiederherzustellen - also bis zur Entscheidung in der Hauptsache seine Fahrerlaubnis behalten zu können. Er argumentierte zum einen, dass die behördlichen Maßnahmen der Ermahnung und Verwarnung nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden seien, weshalb er auf sieben Punkte zurückgesetzt werden müsse. Zudem stelle die Fahrerlaubnisentziehung für ihn als Berufskraftfahrer eine unangemessene Härte dar, da er als Alleinverdiener in eine existentielle Notlage geraten würde und die Einziehung faktisch ein Berufsverbot darstelle. Zu guter Letzt gab er an, bestimmte Fahrten zur lebenswichtigen Versorgung seiner Frau machen zu müssen, die nur von ihm vorgenommen werden könnten.
Das OVG wies den Antrag des Mannes jedoch zurück. Denn zum einen sei aus der Akte ersichtlich, dass die Maßnahmen der Behörde ordnungsgemäß durchgeführt worden waren. Alles andere hätte dem Betroffenen auch bei einer Sichtung der Akte auffallen müssen. Zum anderen könne nicht damit argumentiert werden, bei einem Berufskraftfahrer sei bei derartigen Fällen eine unzumutbare Härte gegeben. Und schließlich war von ihm auch nicht nachvollziehbar dargelegt worden, wieso eine Existenzgefährdung vorliegen könnte und bestimmte Fahrten der lebenswichtigen Versorgung seiner Frau dienen und nur von ihm vorgenommen werden können. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundenen Auswirkungen auf seine Möglichkeiten der Berufsausübung muss er im Interesse der Verkehrssicherheit und zum Schutz von Leib und Leben sowie Eigentum Dritter hinnehmen.
Hinweis: Die zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister stellt keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar. Bei diesem Punktestand geht der Gesetzgeber davon aus, dass Kraftfahrer eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen, und knüpft daran eine Ungeeignetheitsvermutung, die grundsätzlich nicht widerlegt werden kann.
Quelle: OVG Münster, Beschl. v. 23.07.2025 - 16 B 425/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Mietzi? Oder Mauzi? Wer Eigentum nicht nachweist und sich an Namen nicht erinnert, muss Tiere im Tierheim lassen
Manchmal müssen Tiere aus Tierschutzgründen in Obhut genommen werden. Wenn dies angeblich einem behördlichen Irrtum unterliegt, darf das nicht nur behauptet, sondern muss auch bewiesen werden. Denn dass auch bei Tieren der Eigentumsnachweis unerlässlich ist, beweist dieser Fall des Landgerichts Nürnberg-Fürth (LG) eindringlich.
Eine Behörde nahm im März 2022 aus dem Haus eines Mannes drei Katzen in Gewahrsam und übergab sie an ein Tierheim. Hintergrund war, dass im Haus eine Frau lebte, die aus Tierschutzgründen keine Katzen halten durfte. Bei einer Kontrolle wurden die Katzen und ihre Utensilien wie Katzentoiletten, Futternäpfe, Kratzbaum, Medikamente, Transportboxen und Tierarztrechnungen im Stockwerk eben dieser Frau gefunden. Der Mann gab dennoch an, Eigentümer der Katzen zu sein, konnte aber die Namen und den Gesundheitszustand der Tiere nur schwerlich angeben sowie lediglich vage Angaben zum Erwerb machen. Er ließ es sich dennoch nicht nehmen, gegen das Tierheim auf Herausgabe der Katzen zu klagen.
Das Amtsgericht wies die Klage ab, weil der Mann keinen Eigentumsnachweis erbringen konnte. Auch die Aussagen der Mitbewohnerin überzeugten das Gericht nicht. Gegen das Urteil legte der Mann Berufung ein, zog diese jedoch nach einem Hinweis des LG zurück. Damit wurde das Urteil rechtskräftig. Eine Prüfung des Urteils zeigte, dass die Katzen der Mitbewohnerin gehörten und nicht dem Kläger. Da keine schriftlichen Nachweise oder konkreten Angaben zum Erwerb vorlagen, konnte der Mann seine Eigentümerstellung nicht beweisen. Zudem war das Eigentum an den Katzen durch die behördliche Anordnung zur Veräußerung erloschen. Nach dem Tierschutzgesetz überträgt eine solche Anordnung die rechtliche Befugnis auf die Behörde, der frühere Halter muss die Maßnahme dulden.
Hinweis: Wer Tiere besitzt, sollte Kaufbelege, Verträge oder konkrete Angaben zum Erwerb aufbewahren. Ohne Nachweise können Behörden Tiere in Obhut nehmen. Eine Duldungspflicht entsteht, wenn eine behördliche Anordnung zur Weitergabe erfolgt.
Quelle: LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.05.2025 - 15 S 107/25(aus: Ausgabe 10/2025)
- Premiummitgliedschaft: BGH sieht kein jederzeitiges Kündigungsrecht bei Onlinepartnerportalen
Die Liebe verhält sich wie das Leben selbst bekanntermaßen unberechenbar. Wer sich in einem Onlineportal registriert hat, um die Liebe des Lebens zu finden, ist nicht davor gefeit, leer auszugehen oder gar doch schon schneller als erwartet von Amors Pfeil getroffen zu werden. Doch was dann? Vor kurzem hat sich sogar der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage beschäftigt, ob Kunden eines Onlinepartnervermittlungsportals jederzeit kündigen können.
Die Beklagte betreibt ein Partnerportal, bei dem Nutzer zwischen einer kostenlosen Basismitgliedschaft und einer kostenpflichtigen Premiummitgliedschaft wählen konnten. Bei der Premiummitgliedschaft werden Verträge mit Erstlaufzeiten von sechs Monaten (479,40 EUR; 79,90 EUR monatlich), zwölf Monaten (790,80 EUR; 65,90 EUR monatlich) oder 24 Monaten (1.101,60 EUR; 45,90 EUR monatlich) angeboten. Werde nicht rechtzeitig gekündigt, verlängere sich der Vertrag automatisch - und zwar um ganze zwölf Monate. Eine Verbraucherschutzorganisation klagte gegen diese Klauseln. Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) entschied in dieser Sache, dass Kunden nicht jederzeit kündigen können und die Vertragsverlängerung bei 24-monatigen Verträgen durchaus zulässig sei. Bei den sechs- und zwölfmonatigen Verträgen sah das OLG hingegen die Verlängerungsklauseln als unwirksam an. Beide Parteien legten Revision beim BGH ein.
Der BGH bestätigte, dass das Kündigungsrecht nach § 627 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hier nicht gelte, weil die Leistung der Plattform überwiegend aus einer Onlinedatenbank besteht und die Partnersuche automatisiert abläuft. Eine Pauschalregelung für ein jederzeitiges Kündigungsrecht setze eine persönliche Beziehung voraus, und eben diese bestand hier nicht. Die Vertragsverlängerung bei sechsmonatigen Verträgen benachteiligte die Kunden hingegen unangemessen, weil die Verlängerung die Kunden mit Kosten von gut 791 EUR statt einst knapp 480 EUR gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB finanziell benachteiligte. Bei den Premiummodellen mit den Vertragslaufzeiten von zwölf und 24 Monaten sah der BGH jedoch keine unangemessene Benachteiligung.
Hinweis: Onlineverträge können spezielle Kündigungsregeln enthalten. Wer unsicher ist, sollte die AGB genau prüfen und Kündigungsfristen beachten. Automatisierte Leistungen begründen kein jederzeitiges Kündigungsrecht.
Quellen: BGH, Urt. v. 17.07.2025 - III ZR 388/23
(aus: Ausgabe 10/2025)
- Unwetter, Überschwemmungen, Erdrutsche: Entschädigungsfreier Rücktritt von Italienreise bei Wahrscheinlichkeit großer Beeinträchtigungen
Sicher erscheint es recht früh, gut einen Monat vor Antritt wegen eines bereits eingetretenen Unwetters von der geplanten Reise zurückzutreten - aber nur auf den ersten Blick. Das Landgericht Frankfurt am Main (LG) hat sich nämlich eingehender damit beschäftigt, wie sich Auswirkungen schwerer Unwetter auf die erwartete Erholung und das Recht auf Vertragsrücktritt niederschlagen.
Ein Mann hatte eine Pauschalreise nach Norditalien gebucht, die vom 12.06. bis 19.06.2023 stattfinden sollte. Knapp einen Monat zuvor, genauer gesagt am 16.05.2023, kam es in der Region Bologna jedoch zu heftigen Unwettern mit Überschwemmungen, Erdrutschen und sogar Todesopfern. Straßen waren blockiert, Strände geschlossen, Bakterienverseuchung im Meer und die Gefahr einer Mückenplage bestanden. Daher trat der Reisende am Tag danach vom Vertrag zurück und forderte den bereits gezahlten Reisepreis von rund 2.400 EUR ebenso zurück. Das Amtsgericht gab seiner Klage statt.
Der Reiseveranstalter legte Berufung ein, doch das LG bestätigte die Entscheidung. Das Urteil wurde rechtskräftig. Laut Gericht muss der Reisende keine Rücktrittsentschädigung zahlen, weil außergewöhnliche Umstände die Reise erheblich beeinträchtigten. Entscheidend war, dass bei der Rücktrittserklärung aufgrund der Prognose klar abzusehen war, dass die Gefahren bis zum Reisebeginn weiterhin bestehen werden. Das Risiko, dass ein Reisender vorschnell zurücktrete, bestehe zwar grundsätzlich, doch hier war die Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Beeinträchtigung hoch. Schäden an Straßen, Gebäuden, die Bakterienbelastung des Wassers und mögliche Krankheiten machten eine Reise risikoreich. Dass die Reise später mit anderen Teilnehmern planmäßig stattfand, spielte dabei für das Gericht keine Rolle.
Hinweis: Bei extremen Naturereignissen in der Nähe des Reiseziels können Reisende ohne Entschädigung vom Vertrag zurücktreten. Vorher sollten sie die Situation sorgfältig prüfen. Rücktrittsrechte gelten nur, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung wahrscheinlich ist.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.04.2025 - 2-24 S 75/24(aus: Ausgabe 10/2025)
- Versicherer in Beweispflicht: Rücktritt von Berufsunfähigkeitsversicherung im Teleunderwriting gescheitert
Wer nicht fragt, bekommt auch keine Antworten. So einfach könnte der Kern des folgenden Falls vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zusammengefasst werden. Doch bevor dieses zu seinem Urteil kam, musste es sich mit der Frage beschäftigen, unter welchen Bedingungen ein Versicherer nach einem telefonischen Antrag vom Vertrag zurücktreten bzw. diesen anfechten kann, und unter welchen er zur Zahlung verpflichtet ist.
Beim sogenannten Teleunderwriting einer telefonischen Risikoprüfung handelt es sich um einen vertraulichen und effizienten Service, der es Lebensversicherungsgesellschaften ermöglicht, die persönlichen Gesundheitsfragen in einem Antrag telefonisch mit einem ausgebildeten medizinischen Risikoprüfer zu beantworten. So war es auch in diesem Fall. Ein in Mexiko geborener Mann, der in Deutschland lebte, beantragte 2012 telefonisch eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Er selbst sprach Spanisch, sein Lebensgefährte übersetzte seinerzeit ins Englische. Der Versicherungsmitarbeiter füllte den Antrag aus und kreuzte bei allen Gesundheitsfragen "nein" an, obwohl der Mann zuvor wegen Rückenproblemen, Depressionen und später auch wegen einer Daumengelenksarthrose ärztlich behandelt worden war. Kurz nach dem Telefonat lag der vorausgefüllte Antrag im Briefkasten, der Mann unterschrieb. Als er fünf Jahre später Berufsunfähigkeit anmeldete, lehnte die Versicherung die Zahlung jedoch ab und erklärte den Rücktritt vom Vertrag wegen angeblich falscher Angaben. Der Mann erklärte, er habe nichts verschwiegen und sei davon ausgegangen, dass nur aktuelle schwere Erkrankungen gemeint seien.
Das Landgericht stellte fest, dass die Versicherung weiterhin Bestand habe, und verurteilte den Versicherer zur Zahlung der Leistungen. Das OLG bestätigte diese Entscheidung und begründete dies damit, dass die Versicherung nicht wirksam vom Vertrag zurücktreten oder diesen anfechten konnte. Für einen Rücktritt müssen die Fragen während des Telefonats korrekt und verständlich vorgelesen werden, damit der Antragsteller sie sicher zur Kenntnis nimmt. Dies konnte die Versicherung in diesem Fall nicht nachweisen. Und auch eine Täuschungsanfechtung scheiterte, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Mann absichtlich falsche Angaben gemacht hatte. Es reichte nicht aus, seine Angaben einfach zu bestreiten; die Versicherung musste einen eindeutigen Beweis vorlegen, was sie nicht konnte.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 06.06.2025 - 7 U 20/23(aus: Ausgabe 10/2025)
- Zur Folgenbeseitigung verpflichtet: Bank muss Kunden über unwirksame AGB-Klausel informieren
Hier steht ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) ausnahmsweise mal am Beginn des Falls. Denn der BGH traf bereits eine Entscheidung zur Unwirksamkeit einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einer Bank. Ein Verbraucherverein war damit jedoch noch nicht zufrieden, sondern verlangte, dass diese Änderung der AGB auch den betreffenden Bankkunden direkt mitgeteilt werde - und damit kamen hier zuerst das Landgericht (LG) und schließlich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) ins Spiel.
Eine Bank hatte in ihren AGB eine Klausel aufgeführt, nach der Kunden für Spareinlagen über einem bestimmten Freibetrag ein sogenanntes Verwahr- und Guthabenentgelt zahlen sollten. Diese Klausel hatte der BGH allerdings bereits für unwirksam erklärt. Das zuständige LG verurteilte die Bank auf Klage eines Verbraucherschutzvereins hin dazu, ihre davon betroffenen Kunden innerhalb von vier Wochen individuell über die Unwirksamkeit der Klausel zu informieren.
Auf die Berufung der Bank bestätigte das OLG diese Verpflichtung. Die Bank hatte durch die unwirksame Klausel eine unzulässige Handlung vorgenommen, bei der bei den Kunden der Eindruck entstand, dass das Verwahrentgelt rechtmäßig sei. Diese Fehlvorstellung verschwand nun aber nicht automatisch durch die gerichtliche Entscheidung. Deshalb müsse die Bank die Kunden direkt informieren - entweder per Post oder per E-Mail. Dabei dürfen nur die Kunden angeschrieben werden, deren Verträge die strittige Klausel enthielten und die klassische unbefristete Spareinlagen unterhielten. Erst diese direkte Information stelle sicher, dass die Kunden die Nachricht auch tatsächlich wahrnähmen, was besonders für ältere Kunden wichtig sei, die im Onlinebanking nicht so sattelfest sind. Die Bank habe daher nach Erhalt der Liste mit betroffenen Kunden zwei Monate Zeit, die individualisierten Schreiben zu versenden.
Hinweis: Banken müssen Kunden aktiv informieren, wenn AGB-Klauseln unwirksam sind. Ein bloßes Einstellen der Information auf der Website reicht nicht aus. Auch ältere Kunden sollen so direkt erreicht werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 13.06.2025 - 3 U 286/22(aus: Ausgabe 10/2025)