Auf dieser Seite finden Sie aktuelle Mandanteninformationen. Wenn Sie recherchieren oder ältere Ausgaben betrachten möchten, können Sie hier unser Archiv aufrufen.
- Befriedung statt Bestrafung: Bereits der Verdacht der sexuellen Belästigung unter Kollegen berechtigt Arbeitgeber zur Versetzung
Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste über die Versetzung eines Arbeitnehmers entscheiden, dem die sexuelle Belästigung einer Kollegin vorgeworfen wurde. Diese blieb zwar nach Recherchen des Arbeitgebers unbewiesen, so dass die diesbezügliche Abmahnung auch keinen Bestand hatte. Die Versetzung wollte der Arbeitnehmer jedoch auch nicht hinnehmen und empfand diese als unberechtigte Bestrafung. Zu Recht?
Nach einer Abteilungsversammlung behauptete eine Arbeitnehmerin, ein Kollege habe sie an der Schulter berührt und "Schätzchen" genannt. Im weiteren Tagesverlauf soll der Mitarbeiter ihr zudem im Vorbeigehen bewusst auf das Gesäß geschlagen haben. Der Arbeitgeber nahm die Ermittlungen auf und hörte unter anderem mehrere Zeugen der Abteilungsversammlung an. Schließlich sprach er eine Abmahnung aus und versetzte den Mitarbeiter an einen anderen Standort. Dagegen klagte der Arbeitnehmer. Er bestritt, die Kollegin sexuell belästigt zu haben. Insbesondere habe er sie nicht am Gesäß berührt.
Das LAG urteilte, dass die Abmahnung unwirksam gewesen sei und deshalb aus der Personalakte entfernt werden müsse. Schließlich konnte der Arbeitgeber die sexuelle Belästigung der Arbeitnehmerin nicht beweisen. Anders sah es das Gericht jedoch mit der Versetzung. Diese hatte der Arbeitgeber wirksam vorgenommen. Es ist nach Auffassung des Gerichts nämlich Sache des Arbeitgebers, zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren will. Er muss dabei nicht erst die Ursachen und Verantwortlichkeiten für die entstandenen Konflikte im Einzelnen aufklären. Sei eine Konfliktlage gegeben und könne der Arbeitgeber diese Konfliktsituation durch Ausübung seines Direktionsrechts beenden, kann er diese Maßnahme auch ergreifen. Die Trennung der betroffenen Arbeitnehmer war eine geeignete und sachgerechte Maßnahme zur Lösung des Konflikts. Der Arbeitgeber habe zuvor im Rahmen seiner Möglichkeiten sogar überobligatorisch gehandelt, um den Sachverhalt aufzuklären.
Hinweis: Dem Gericht war klar, dass der (unschuldige) Mitarbeiter die Umsetzung als Strafe empfinden wird. Hier diente sie jedoch der Befriedung des Konflikts und hatte deshalb keine bestrafende Intention.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 25.02.2025 - 7 SLa 456/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Der kontrollierte Kontroletti: Fristlos Entlassener muss Kosten für Detektiv erstatten, der seinen Arbeitszeitbetrug nachwies
Der Einsatz eines Detektivs gegen einen Mitarbeiter darf nur unter ganz engen Voraussetzungen geschehen. Wann das der Fall ist, musste das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) entscheiden. Dabei ging es um den Nachweis des arbeitgeberseitigen Verdachts, dass ein Arbeitnehmer Arbeitszeitbetrug begehe.
Der Arbeitnehmer war seit April 2009 bei einem Verkehrsunternehmen im öffentlichen Nahverkehr als Fahrausweisprüfer angestellt. Er war in Vollzeit tätig, wobei die Zeiterfassung über eine mobile App erfolgte. Der Arbeitgeber stellte schließlich Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeiterfassung des Arbeitnehmers fest und hegte den Verdacht, dass der Mitarbeiter trotz Arbeitszeiterfassung an verschiedenen Tagen etwa ein Fitnessstudio oder einen Friseur besucht habe. Der Arbeitgeber beauftragte daraufhin eine Detektei, den Mitarbeiter an mehreren Tagen zu observieren. Aus dem Abschlussbericht ergab sich, dass der Arbeitnehmer ohne Pauseneintrag mehrfach längere Pausen in Bäckereien und Cafes sowie bei seiner Freundin eingelegt hatte. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos. Obendrein forderte er auch die Erstattung der Detektivkosten von über 21.000 EUR. Dagegen erhob der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage.
Doch das LAG gab dem Arbeitgeber Recht. Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund war wegen des nachgewiesenen Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt. Und der Arbeitnehmer musste auch die Detektivkosten erstatten, denn der Arbeitgeber durfte wegen des dringenden und konkreten Tatverdachts einen Detektiv zur weiteren Aufklärung beauftragen. Ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht oder die Grundrechte lag nicht vor.
Hinweis: Solche Fallkonstellationen können also für Arbeitnehmer wirklich richtig teuer werden. Da hilft nur eins: das vertragsgerechte rechtmäßige Verhalten.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 11.02.2025 - 7 Sa 635/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Gegenbeweis blieb aus: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wertet "Digital Native" als Altersdiskriminierung
Mit "flotten" oder "freshen" Stellengesuchen - suchen Sie sich aus, was Sie anspricht - sollten Arbeitgeber künftig besser aufpassen. Denn die folgende Klage eines abgelehnten Bewerbers hatte vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) auch deshalb Erfolg, weil sich das Unternehmen dabei Begriffen bediente, die schon bei kurzem Nachschlagen zur Bedeutung alle Alarmglocken bei Personalverantwortlichen hätten erklingen lassen.
Ein Diplom-Wirtschaftsjurist hatte sich auf eine Stelle bei einem Sportartikelhändler beworben. In der Stellenausschreibung suchte dieser einen "Digital Native", der sich in der "Social-Media-Welt zuhause fühlt". Er suche außerdem einen "absoluten Teambuddy" und biete ein dynamisches "Team mit attraktiver Vergütung und Chancen zur beruflichen Entwicklung". Der Diplom-Wirtschaftsjurist stellte sich dabei ein Gehalt von 90.000 EUR im Jahr vor. Der Arbeitgeber lehnte seine Bewerbung jedoch ab. Der Bewerber klagte, denn er vertrat die Ansicht, dass die Formulierung in der Stellenanzeige ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei. Er ging von einer Altersdiskriminierung aus und klagte auf eine Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 37.500 EUR.
Das LAG bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Der diplomierte Wirtschaftsjurist erhielt 7.500 EUR, da er wegen seines Alters eine ungünstigere Behandlung erfahren hatte als der letztlich vom Arbeitgeber eingestellte Bewerber. Der Begriff "Digital Native" knüpft unmittelbar an das Lebensalter an. So definiert der Duden damit eine Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen und in ihrer Benutzung geübt ist, wobei Ersteres bestimmte noch berufstätige Jahrgänge naturgemäß ausschließt.
Hinweis: Das Gericht stellte klar, dass das AGG vermute, dass Bewerber in solchen Fällen zumindest auch aus Altersgründen abgelehnt worden seien. Deshalb wäre es in diesem Fall am Arbeitgeber gewesen, einen Gegenbeweis zu liefern. Das hatte der Arbeitgeber jedoch nicht getan.
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 07.11.2024 - 17 Sa 2/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Keine Eilbedürftigkeit gegeben: Teilzeitantrag kann nicht während einer Brückenteilzeit gestellt werden
Die sogenannte Brückenteilzeit ist eine befristete Herabsetzung der Arbeitszeit. Ist diese Form der Teilzeit beendet, kehrt der Arbeitnehmer zu der davor festgelegten Arbeitszeit zurück. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte in diesem Zusammenhang ein Urteil zur Frage gefällt, ob ein Antrag auf Teilzeit noch während einer bestehenden Brückenteilzeit möglich ist.
Die Arbeitnehmerin dieses Falls hatte sich mit ihrem Arbeitgeber auf eine Brückenteilzeit geeinigt und reduzierte für die Zeit vom 01.09.2022 bis zum 31.08.2024 ihre Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden. Beide Seiten vereinbarten darüber hinaus, dass die Arbeitszeit auf vier Wochentage verteilt werden sollte. Noch während dieser vereinbarten Brückenteilzeit beantragte die Beschäftigte im März 2024 eine unbefristete Teilzeittätigkeit nach § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz mit 30 Wochenstunden. Diese solle nach Vorstellung der Arbeitnehmerin mit dem Ende der Brückenteilzeit beginnen. Als der Arbeitgeber das ablehnte, klagte die Arbeitnehmerin ihr vermeintliches Recht ein. Erfolg hatte sie damit allerdings nicht.
Das LAG entschied, dass Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf eine unbefristete Teilzeit haben. Das Gericht stellte in seiner Entscheidung klar, dass ein Antrag auf unbefristete Teilzeit während einer laufenden Brückenteilzeit unzulässig ist. Allein der Umstand, dass die Durchsetzung des möglichen Anspruchs im Hauptsacheverfahren mehrere Monate dauern kann, begründet eine solche Eilbedürftigkeit nämlich noch nicht.
Hinweis: Nun ist also klar, dass während einer bestehenden Brückenteilzeit kein Teilzeitantrag auf die Zeit danach gestellt werden kann. Für alle Beteiligten ist es ohnehin besser, wenn eine einvernehmliche Regelung für eine Teilzeitarbeit möglich ist.
Quelle: Hessisches LAG, Urt. v. 02.12.2024 - 16 GLa 821/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit? Sind angebrachte Zweifel nicht belegbar, hat ein ärztliches Attest hohen Beweiswert
Häufig sorgen angeblich falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für gerichtliche Ausienandersetzungen, die sich meist mit der Beweiskraft von ärztlichen Attesten befassen. Jeder einzelne Fall bringt aber Besonderheiten mit sich, die interessante Blickwinkel aufwerfen - so auch im Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln (LAG).
Ein Finanzdienstleister plante Restrukturierungsmaßnahmen und lud deshalb acht Arbeitnehmer zu einem Personalgespräch am 11.07.2022 ein. Für den betreffenden Tag meldeten sich dann jedoch gleich alle acht eingeladenen Mitarbeiter arbeitsunfähig krank. Der Arbeitgeber forderte daraufhin die Beschäftigten auf, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag vorzulegen. Einer der Arbeitnehmer lieferte die geforderte Bescheinigung am 12.07.2022, mit der ihm eine Arbeitsunfähigkeit vom 11.07. bis einschließlich 15.07.2022 ärztlich bestätigt wurde. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe seine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht. Dagegen klagte der Arbeitnehmer und erhob eine Kündigungsschutzklage.
Das LAG sah keinen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung. Ein ärztliches Attest habe einen hohen Beweiswert. Bezweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, muss er die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, darlegen und notfalls beweisen. Dass die Arbeitsunfähigkeit bei acht Mitarbeitern gleichzeitig in Zusammenhang mit einem schwierigen Personalgespräch auftrat, rechtfertigte auch in den Augen des Gerichts Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Allerdings bestätigte die Fachärztin, die die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hatte, ihre Diagnose anhand ihrer Aufzeichnungen. Dem hatte der Arbeitgeber nichts entgegenzusetzen und somit keinen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung.
Hinweis: In dieser Sache wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Sofern es zu einer Revisionsverhandlung kommen wird, werden wir weiter berichten.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 12.12.2024 - 8 Sa 409/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Erbscheinsverfahren: Was passiert, wenn das Testament im Original unauffindbar ist?
Wird ein Erbschein auf der Grundlage eines Testaments beantragt, wird in der Regel auch das entsprechende Testament im Original vorgelegt. Wie mit dem Fall umzugehen ist, wenn das Testament im Original nicht auffindbar ist, war Gegenstand der folgenden Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).
Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet. Nach seinem Tod hat die Ehefrau einen Erbschein beantragt und angegeben, dass kein Testament des Erblassers vorhanden sei. Etwa einen Monat später teilte sie dem Nachlassgericht mit, dass der Erblasser ein handschriftliches Testament hinterlassen habe, in dem er sie als Alleinerbin eingesetzt habe. Das Testament habe sie bislang aber nicht finden können. Mehrere Monate später reichte sie beim Nachlassgericht die Kopie eines von ihr eigenhändig geschriebenen und mit insgesamt drei Unterschriften versehenen Testaments vom 20.07.2018 ein, in dem die Eheleute sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Dieses Testament war von der Ehefrau, dem Erblasser sowie einem Zeugen unterschrieben worden. Der Sohn des Erblassers aus erster Ehe beantragte hingegen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Basis der gesetzlichen Erbfolge. Nachdem das Nachlassgericht zunächst noch einen Erbschein zugunsten der Ehefrau auf der Basis der Kopie des Testaments erteilt hatte, hob das OLG diese Entscheidung wieder auf.
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Ehefrau die Feststellungslast für das von ihr vorgelegte Testament trägt, das jedoch nur in Kopie vorliegt. Ein nicht mehr vorhandenes Testament ist zwar nicht allein wegen seiner Unauffindbarkeit ungültig; Form und Inhalt des Testaments können mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden - auch durch Vorlage einer Kopie oder die Benennung von Zeugen. Hier konnte die Ehefrau den Beweis über die Errichtung eines formgültigen Testaments nach Ansicht des Gerichts nicht führen. Zweifel an der Errichtung des Testaments gingen daher zu Lasten der Ehefrau. In Ermangelung einer Verfügung von Todes wegen kam stattdessen die gesetzliche Erbfolge zum Tragen - mit der Folge, dass ein gemeinschaftlicher Erbschein zu erteilen war.
Hinweis: Im Fall der Unauffindbarkeit eines Testaments besteht keine Vermutung, dass dieses vom Erblasser vernichtet worden ist.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 03.04.2025 - 3 W 53/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Erheblicher Pflichtverstoß: Geldentnahme aus Nachlass führt zur Verwirkung der Testamentsvollstreckervergütung
Ein Testamentsvollstrecker kann für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung verlangen, sofern der Erblasser nicht etwas anderes bestimmt hat. Ein Anspruch auf eine solche Vergütung kann aber auch entfallen, wenn dem Testamentsvollstrecker ein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) war ein Notar zum Testamentsvollstrecker eingesetzt worden.
Der Testamentsvollstrecker ließ in seiner Eigenschaft unter anderem ein Nachlassverzeichnis erstellen und Immobilien aus dem Vermögen der Erblasserin schätzen. Hierfür erhielt er eine Vergütung in Höhe von ca. 117.000 EUR. Zudem hatte sich der Testamentsvollstrecker weitere 27.000 EUR aus dem Nachlass entnommen, um Kosten für ein Gerichtsverfahren zu decken, von dem er persönlich betroffen war. Die Erben waren der Ansicht, dass es sich hierbei um eine erhebliche Pflichtverletzung gehandelt habe, die dazu führe, dass der Testamentsvollstrecker auch seinen Vergütungsanspruch zurückzahlen müsse. Die Entnahmen für die Kosten des Gerichtsverfahrens hatte der Testamentsvollstrecker in der Zwischenzeit wieder an den Nachlass zurückgeführt.
Sowohl das vorinstanzliche Landgericht als auch das OLG waren der Ansicht, dass der Testamentsvollstrecker mit der Entnahme von insgesamt 27.000 EUR aus dem Nachlass für eigene Zwecke erheblich gegen seine Pflichten verstoßen habe. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass er den Geldbetrag an den Nachlass zurückgezahlt habe. Die Pflichtverletzung wurde als derart schwerwiegend eingestuft, dass dies zur Folge hatte, dass auch der Vergütungsanspruch des Testamentsvollstreckers damit erloschen war.
Hinweis: Grundsätzlich vertritt der Testamentsvollstrecker den Nachlass in Rechtsstreitigkeiten. Richtet sich diese Rechtsstreitigkeit aber gegen den Testamentsvollstrecker selbst, sind die Erben dazu berechtigt, den Prozess selbst zu führen.
Quelle: OLG München, Urt. v. 07.04.2025 - 33 U 241/22(aus: Ausgabe 06/2025)
- Gemeinschaftliches Testament: Wiederverheiratungsklausel zur Vorerbschaft ohne Bindungswirkung auf Verfügungen von Todes wegen
Wechselbezügliche Verfügungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments können nach dem Tod des Erstversterbenden nicht ohne weiteres geändert werden. Die Eheleute haben daher die Möglichkeit, hiervon abweichende Vereinbarungen zu treffen, so dass der überlebende Ehegatte in seiner Verfügungsbefugnis frei ist. Eine derartige Vereinbarung war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).
Die Eheleute hatten im Jahr 1980 ein gemeinschaftliches Testament errichtet und sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Darüber hinaus verfügten sie, dass Erben des überlebenden Ehegatten die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein sollten. Das Testament enthielt des Weiteren eine Klausel, dass dem überlebenden Ehepartner keinerlei Beschränkungen auferlegt sein sollen - mit Ausnahme des Falls der Wiederheirat. In diesem Fall sollte der überlebende Ehegatte lediglich Vorerbe sein. Das Testament enthielt zudem eine Pflichtteilsstrafklausel in Bezug auf die gemeinsamen Kinder. Schließlich verstarb die Ehefrau bereits kurz nach der Errichtung des Testaments.
Der Erblasser errichtete seinerseits kurz vor seinem Tod ein weiteres, eigenhändiges gemeinschaftliches Testament mit seiner zweiten Ehefrau und widerrief alle vorherigen Verfügungen von Todes wegen. Die Eheleute setzten sich auch in diesem Fall wechselseitig zu Alleinerben ein, wobei eine neue Schlusserbeneinsetzung erfolgte. In der Folge entstand ein Streit darüber, ob der Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau überhaupt noch dazu befugt gewesen sei, eine neue Schlusserbeneinsetzung vorzunehmen.
Sowohl das Nachlassgericht als auch das OLG bestätigten, dass der Erblasser auch nach dem Tod seiner ersten Ehefrau dazu berechtigt war, eine neue Verfügung hinsichtlich der Schlusserben zu treffen. Dies resultierte zum einen aus dem Testament selbst, da die Eheleute verfügt haben, dass dem überlebenden Ehepartner keinerlei Beschränkungen auferlegt sein sollten. Auch die Wiederverheiratungsklausel führte nicht dazu, dass der Erblasser in seinen Befugnissen beschränkt war. Die Klausel hatte nur zur Folge, dass der überlebende Ehepartner als Vorerbe in seinen Befugnissen unter Lebenden beschränkt war. Daraus könne jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich diese Beschränkung auch auf Verfügungen von Todes wegen erstreckt.
Hinweis: Eine Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament kann ein Hinweis darauf sein, dass diese Verfügung wechselbezüglich ist und nach dem Tod nicht abgeändert werden soll. Dies wird nicht anzunehmen sein, wenn eine Freistellungsklausel - wie in diesem Fall - in dem Testament enthalten ist.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.03.2025 - 3 W 4/25(aus: Ausgabe 06/2025)
- Nachweis der Rechtsnachfolge: Keine Pflicht für Registergericht, Gleichwertigkeit ausländischer Nachweise eigenständig zu prüfen
Erbfälle sind nicht nur im privaten Bereich, sondern oft auch im beruflichen Kontext mit Konsequenzen verbunden. Sie können bei Letzterem beispielsweise die Notwendigkeit nach sich ziehen, dass Eintragungen im Handelsregister vorgenommen werden müssen. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) ging es um die Eintragung der Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Kommanditisten einer KG.
Zum Zweck der Eintragung der Änderung im Handelsregister wurde ein Beschluss des österreichischen Bezirksgerichts Salzburg als Nachweis der Erbfolge vorgelegt. Das Registergericht wies jedoch darauf hin, dass ein Eintragungshindernis bestehe, da kein ausreichender Nachweis über die Erbfolge vorgelegt worden sei. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde, die nun jedoch zurückgewiesen wurde.
Das OLG stellte klar, dass das Registergericht durchaus zu Recht die Vorlage eines deutschen Erbscheins oder eines europäischen Nachlasszeugnisses verlangt habe. Das Gericht kommt damit seinem pflichtgemäßen Ermessen nach, wenn es Urkunden genügen lässt, die einem deutschen Erbschein gleichstehen. Das Registergericht sei aber nicht verpflichtet, die Gleichwertigkeit ausländischer Nachweise eigenständig rechtlich zu prüfen, um die Rechtsnachfolge nachzuweisen. Hintergrund ist, dass derartige unter Umständen umfangreiche Ermittlungen zu Verzögerungen bei den Handelsregistereintragungen führen können.
Hinweis: Zweck des europäischen Nachlasszeugnisses ist, dass die berechtigten Personen - wie beispielsweise Erben - ihren Status und ihre Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachweisen können, um somit eine schnelle unkomplizierte Abwicklung der Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug zu ermöglichen.
Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 18.03.2025 - 2 W 37/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Vertretungsverhältnisse beachten: Genehmigungsfreiheit einer Erbanteilsübertragung an einen Minderjährigen
Um Minderjährige zu schützen, dürfen bestimmte Verfügungen zu ihren Gunsten nicht getroffen werden, sobald hiermit auch die Übernahme von Belastungen verbunden ist. Da sie in der Regel von ihren Eltern gesetzlich vertreten werden, bedarf es bei Übertragungen an die Kinder häufig einer Genehmigung durch das Familiengericht. Ein Fall, in dem die Eltern von ihrem Vertretungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen waren, war kürzlich Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).
Ein Großvater wollte einen Anteil seines Erbes an seine drei Enkel übertragen, von denen einer zum Zeitpunkt der Übertragung noch minderjährig war. In der notariellen Urkunde wurde der Großvater von Nachlassverbindlichkeiten durch den Enkel freigestellt. In der notariellen Vereinbarung wurde der minderjährige Enkel allein von seinem Vater vertreten. Das Grundbuchamt war der Ansicht, dass für die Umsetzung der Erbteilsübertragung und die Umschreibung im Grundbuch die Bestellung eines Ergänzungspflegers und eine familiengerichtliche Genehmigung einzuholen waren; der Sohn hätte in diesem Fall nicht vom Vater vertreten werden dürfen.
Diese Entscheidung wurde durch das OLG aufgehoben. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich eben nicht um ein Rechtsgeschäft, bei dem der Minderjährige für fremde Schulden haftet. Der im Gesetz vorgesehene Ausschluss des Vertretungsrechts betrifft nur jenen Elternteil, der hiervon direkt betroffen ist. Dies wäre bei der Erbteilsübertragung zugunsten der Enkel die Tochter des Erblassers, also die Mutter seiner drei Enkel. Diese hat das minderjährige Kind im Rahmen der Erbteilsübertragung aber gerade nicht vertreten.
Hinweis: Verfügungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge sind ein häufig angewandtes Instrumentarium zur Gestaltung zu Lebzeiten des Erblassers. Gerade bei Verfügungen zugunsten Minderjähriger ist besonders auf die Vertretungsverhältnisse zu achten.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.03.2025 - 3 W 9/25(aus: Ausgabe 06/2025)
- Bei hohem Betreuungsanteil: Mitbetreuung rechtfertigt Herabgruppierung des Kindesunterhalts
Beide Eltern sind den Kindern zu Unterhalt verpflichtet - durch Betreuung oder finanziell. Was passiert, wenn ein Elternteil an sich Barunterhalt schuldet, die Kinder aber de facto mitbetreut, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG).
Nach der Trennung im Dezember 2019 blieben die drei Kinder im Haushalt der Kindesmutter. Der Vater zahlte für die Kinder Unterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergelds. Zudem betreute er sie in jeder ungeraden Kalenderwoche von Mittwoch nach Schulschluss bis Montagmorgen zum Schulbeginn, zusätzlich während der Hälfte der Schulferien. Als der Vater vom Amtsgericht verpflichtet wurde, rückwirkend Kindesunterhalt von 115 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe zu zahlen, legte er Beschwerde gegen die Festsetzung des Unterhalts ein, soweit dieser 100 % übersteigt.
Der Vater hatte damit vor dem OLG auch Erfolg: Er blieb der Zahlungspflicht von 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe der Kinder nach der Düsseldorfer Tabelle verpflichtet (abzüglich des hälftigen Kindergeldes). Dies ist wegen der beachtlichen Mitbetreuung der Kinder durch den Vater gerechtfertigt. Der Vater betreut die drei Kinder an fünf von 14 Tagen. Addiert man hierzu noch die Betreuung während der Hälfte der Schulferien, entspricht dies einem Betreuungsanteil von gut 35 % - also von mehr als einem Drittel. Ein deutlich erweiterter Umgang kann daher auch zu einer Herabgruppierung der Unterhaltspflicht führen. Dabei spielt es eine Rolle, inwieweit bei der Betreuungszeit über die Gewährung von Naturalunterhalt der Unterhaltsverpflichtung bereits entsprochen und der hauptbetreuende Elternteil entlastet wird.
Hinweis: Auch bei einer Trennung sollte sich jeder Elternteil seine Betreuungsanteile bewusst machen, zum Beispiel durch eine schriftliche Aufstellung. Vielleicht sind diese zu hoch, so dass der Barunterhalt reduziert werden kann.
Quelle: OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.04.2025 - 1 UF 136/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Sohn oder Berufsbetreuer? Wie bei der Betreuerauswahl korrekt vorzugehen ist
Die Feststellung, dass eine Person unter Betreuung gestellt werden muss, ist die eine Sache. Die andere ist es, einen geeigneten Betreuer zu finden. Besonders schwierig wird es, wenn Familienmitglieder gegen Berufsbetreuer konkurrieren. So hat hier erst der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden, wie für eine rechtsgültige Bewertung in solchen Fällen vorzugehen ist.
Eine im Jahr 1934 geborene Frau leidet an einer Aphasie sowie schweren psychischen Störungen und kann ihre Angelegenheiten rechtlich nicht mehr besorgen. Das Amtsgericht (AG) bestellte deswegen einen Berufsbetreuer sowie eine berufliche Verhinderungsbetreuerin. Dagegen wendete sich der einzige Sohn der Betreuten. Die Betreuung müsse ihm als dem einzigen Sohn übertragen werden. Das Gericht sah ihn aber als ungeeignet an. Er habe sich nachweislich unvernünftig und auch übergriffig der Mutter gegenüber verhalten. Der Sohn wiederum gab an, sich bessern zu wollen. Dem AG reichte das nicht, es hielt dieses Versprechen für eine bloße Absichtserklärung. Während die Beschwerde des Sohns beim Landgericht (LG) noch erfolglos blieb, konnte er vor dem BGH nun einen Etappensieg erringen.
Nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch muss dem Wunsch des Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer entsprochen werden, außer dieser ist ungeeignet. Schlägt der Betroffene niemanden vor, sind Familienangehörige und Berufsbetreuer gegeneinander abzuwägen. Will ein Familienangehöriger die Betreuung übernehmen und steht dem kein Wunsch des Betroffenen selbst entgegen, ist dem Familienangehörigen der Vorzug zu geben - außer, er ist für die Betreuung ungeeignet. Ob der Sohn ungeeignet ist, hatte das LG jedoch erst gar nicht ausermittelt. Genau aus diesem Grund wurde der Fall dorthin zurückverwiesen.
Hinweis: Achten Sie in einer ähnlichen Situation darauf, dass die Eignung des Betreuers aus dem Familienkreis umfassend beurteilt wird. Es muss eine Gesamtschau vorgenommen werden: War der Familienangehörige unvernünftig? Wenn ja, warum? Wie lange ist das her? Wie ist die Prognose? Nur, wenn die Gesamtschau negativ ist, kann ihm die Betreuung versagt werden.
Quelle: BGH, Beschl. v. 05.03.2025 - XII ZB 260/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Teilungsversteigerung: Kindeswohl ist auch bei Zwangsvollstreckung zu beachten
Die Teilungsversteigerung einer gemeinsamen Immobilie kann dem anderen Ehegatten gegenüber rücksichtslos sein, etwa wenn sein Vermögen nachhaltig geschädigt wird oder das Wohl der gemeinsamen Kinder auf dem Spiel steht. Doch wie so oft, steht auch in solchen Fällen die gerichtliche Abwägung vor einem Urteil - so auch im Fall vor dem Amtsgericht Frankenthal (AG).
Die Eheleute leben getrennt, sind aber noch nicht geschieden. Ein Wohnhaus, das im gemeinsamen Eigentum der Ehegatten stand, sollte nun auf Betreiben des Mannes zwangsversteigert werden. Es gehört zu 2/3 der Ehefrau, zu 1/3 dem Mann und wird von der Frau mit den beiden gemeinsamen Kindern bewohnt. Die Tochter ist in kinderpsychologischer Behandlung, die laut der Mutter wegen der Trennung erforderlich sei. Deswegen wollte sie die Teilungsversteigerung auch untersagen lassen.
Grundsätzlich sind das Verlangen und die Durchführung einer Teilungsversteigerung nachvollziehbar. Im Zuge der Scheidung soll auch eigentumsrechtlich Klarheit geschaffen werden. Im Einzelfall kann das Betreiben der Teilungsversteigerung gegenüber dem anderen Ehegatten rücksichtslos sein. Es müssen daher stets die beiderseitigen Interessen abgewogen werden. Auf Seiten des Mannes stehen vermögensrechtliche Interessen - auf Seiten der Frau stehen neben deren Vermögensinteressen aber auch psychologische Gründe. Sie lebt mit den gemeinsamen Kindern in dem Haus. Eine der Töchter hat wegen der Trennung psychologische Probleme, durch die Versteigerung könnten sich diese noch verstärken. Zudem gehören der Ehefrau 2/3 des Hauses. Die Interessen der Ehefrau sind laut AG demnach höher zu bewerten als die Interessen des Mannes. Sie konnte also mit den Kindern im Haus bleiben.
Hinweis: Ob einem Antrag auf Teilungsversteigerung stattgegeben wird oder nicht, richtet sich also immer nach den berechtigten Interessen. Zur Feststellung der berechtigten Interessen zählen Vermögensinteressen genauso, wie sonstige berechtigte Interessen. Hier können Sie so viel wie möglich in die Waagschale werfen: Eigentumsanteile, Kindeswohl und nicht zuletzt auch die eigene psychische Gesundheit.
Quelle: AG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 24.03.2025 - 5 K 13/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Verabredung zum Mord: Ehemann darf zum Nebenkläger gegen mordlüsterne Ehefrau werden
Viele heiraten - viele trennen sich. Zwar lassen Krimis anderes mutmaßen, doch in der Realität wollen wohl die wenigsten lieber über einen Auftragskiller statt über eine Scheidung Fakten schaffen lassen. Wenn man dennoch diesen illegalen Weg wählt und schließlich versagt - so wie im Fall vor dem Landgericht Ansbach (LG) -, darf in solchen Konstellationen das einst ins Visier geratene Opfer im Strafverfahren als Nebenkläger auftreten.
Der Ehemann war in Urlaub in Thailand. Seine Frau und deren Liebhaber wollten endlich freie Bahn haben und beschlossen, den Ehemann töten zu lassen. Dazu beauftragten sie einen Auftragskiller. Der Killer nahm zwar das Geld an, die Tötung wollte er dann doch nicht ausführen. Der Plan kam schließlich ans Licht. Ehefrau, Liebhaber und Killer wurden wegen Verabredung zum Mord angeklagt. Am Ende saßen alle drei wegen Verabredung zum Mord - der Killer zudem wegen Betrugs - auf der Anklagebank beim LG.
Nach der Untersuchungshaft nahm der Ehemann die Ehefrau zwar wieder in die eheliche Wohnung auf, beantragte aber die Zulassung als Nebenkläger im Strafverfahren. Dies wurde ihm vom LG schließlich auch erlaubt. Nach § 395 Abs. 3 Strafprozessordnung kann die Nebenklage zugelassen werden, wenn diese wegen der schweren Folgen der Tat zur Wahrnehmung der Interessen des Geschädigten geboten erscheint. Das war hier der Fall. Schließlich sollte dem Mann das Leben genommen werden. Zudem hat er mit der Ehefrau gemeinsames Vermögen und auch gemeinsame Kinder. Es besteht also ein Interesse am Ausgang des Verfahrens.
Hinweis: Das ist sicher kein klassischer familienrechtlicher Fall. Sie sehen aber, dass Sie aus der familiären Verbundenheit Ihre Position auch in anderen Rechtsbereichen stärken können. Wäre der Mann nicht mit der Frau verheiratet gewesen und hätten sie keine gemeinsamen Kinder, wäre die Nebenklage wahrscheinlich versagt worden.
Quelle: LG Ansbach, Beschl. v. 04.03.2025 - Ks 1060 Js 3390/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Versorgungsausgleich: Kein Versorgungsausgleich bei folgenschwerer Körperverletzung
Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem. Wenn sie zu folgenschweren Körperverletzungen während der Ehe führt, kann sogar der Versorgungsausgleich ausgeschlossen werden. Genau dies musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) im Folgenden überprüfen, nachdem die Vorinstanz dem Gewalttäter einen solchen Ausgleich noch zugesprochen hatte.
Eine 2011 in der Türkei geschlossene Ehe wurde am 03.04.2024 rechtskräftig in Deutschland geschieden. Ein gemeinsamer Sohn war 2009 geboren worden. Der Ehemann hatte nie gearbeitet und während der Ehezeit illegale Drogen konsumiert. Am 21.02.2014 hatte der Mann die Ehefrau auf einer Busfahrt zu einer Drogenentzugsklinik an einer Haltestelle aus dem Bus gezerrt. Er schlug so massiv auf sie ein, dass sie bewusstlos wurde und auf dem rechten Auge erblindete. Der Sohn verblieb bei der Mutter, der Vater zahlte keinen Unterhalt und war mehrfach im Gefängnis. Er beantragte schließlich den Versorgungsausgleich. Das Amtsgericht führte diesen auch durch. Die Ehefrau erhob Beschwerde hiergegen.
Damit war sie auch erfolgreich. Denn die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu ihren Lasten wäre in Augen des OLG grob unbillig (§ 27 Gesetz über den Versorgungsausgleich). Schließlich hat der Ehemann ein Verbrechen zu ihren Lasten begangen, unter dessen Folgen sie lebenslänglich leiden wird. Es wäre unerträglich, den Ehemann dann noch vom Versorgungsausgleich profitieren zu lassen. Auch hätte der Vater in den Phasen in Freiheit arbeiten können, um so zumindest den Kindesunterhalt zahlen zu können. Dies hatte er aber schuldhaft nicht getan, was ebenso für einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs spricht.
Hinweis: Soll der Versorgungsausgleich ausgeschlossen werden, sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls abzuwägen. Dabei kommt es auch darauf an, wie sich der Ex-Partner verhalten hat. Bei Gewalt in der Ehe, durch die dauerhafter Schaden entstanden ist, und durch die schuldhafte Vereitelung von Unterhalt kann der Versorgungsausgleich kippen. Wichtig ist, dass alle Punkte, die in die Gesamtabwägung einfließen sollen, ordentlich aufgelistet und eingebracht werden.
Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 27.01.2025 - 11 UF 222/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- "Gefangenes" Grundstück: Auch Parken ist vom Notwegerecht umfasst
Das sogenannte Notwegerecht, dass Zu- und Abfahrten zu einem Grundstück ermöglicht, das selber über keine Anbindung an öffentliche Straßen und Wege verfügt, ist immer wieder Anlass für nachbarschaftlichen Zwist. Im folgenden Fall zum Thema hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun darüber geurteilt, ob dieses Wegerecht nur für Zu- und Abfahrten mit dem Kfz gilt oder auch für das Befahren zu Parkzwecken auf dem sogenannten "gefangenen" Grundstück.
Durch Teilung eines ursprünglich einheitlichen Grundstücks wurden daraus zwei Grundstücke. Das hintere Grundstück lag in der zweiten Baureihe und hatte keine Anbindung an eine öffentliche Straße. Deshalb mussten die Eigentümer des hinteren Grundstücks durch Nutzung ihres Notwegerechts über das Grundstück des vorderen Eigentümers fahren. Dieser zog nun vor Gericht, da er zwar das Notwegerecht akzeptierte, nicht jedoch das Befahren, um ein Fahrzeug auf dem gefangenen Grundstück zu parken. Während die Vorinstanzen noch über die Höhe einer sogenannten Notwegerente unterschiedlicher Meinung waren - eine Entschädigung, die vom hinteren Eigentümer an einen vorderen gezahlt wird, wenn er dessen Grundstück als Notweg nutzen muss -, war das Oberlandesgericht sogar der Ansicht, dass lediglich notwendige Fahrten vom Notwegerecht umfasst seien und bis auf nur wenige Ausnahmen keine Fahrten zu Parkzwecken.
Ebendies sah der BGH anders. Es bestand ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Fehlt einem Grundstück demnach die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung zu einem öffentlichen Weg, kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung zu dulden. Soweit die Zufahrt über das Grundstück zu dulden ist, muss auch Nutzungsberechtigten wie Mietern die Zufahrt gewährt werden. Im Gegenzug haben die Eigentümer des Forderungsgrundstücks durchaus einen Anspruch auf eine Notwegerente - also einen Geldanspruch. Das Notwegerecht des Eigentümers eines verbindungslosen ("gefangenen") Wohngrundstücks umfasst grundsätzlich aber auch die Zufahrt mit Kfz zum Zweck des Parkens auf dem verbindungslosen Wohngrundstück. Wären Zufahrten zu Parkzwecken von dem Notwegerecht ausgenommen, würde dies zudem zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit führen. So dürfte der Notwegeberechtigte sein Kfz beispielsweise dennoch abstellen, wenn die Zufahrt nicht zu Parkzwecken, sondern zum Be- und Entladen erfolgte - nicht aber, wenn das Abstellen alleiniger Zweck der Zufahrt wäre. Der Fahrt mit dem Kfz könne man aber nicht ohne weiteres ansehen, zu welchem Zweck sie erfolge.
Hinweis: Nun ist es also endlich entschieden, dass das Notwegerecht auch dann besteht, wenn Kraftfahrzeuge auf dem hinteren Grundstück nur parken sollen.
Quelle: BGH, Urt. v. 14.03.2025 - V ZR 79/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Einstweilige Verfügung: Vermieterin darf Wasser nicht einfach abstellen
Vollendete Tatsachen zu schaffen, ist im Streitfall nur selten anzuraten - auch dann nicht, wenn die Auseinandersetzung schon in Form einer Räumungsklage zu einer gerichtlichen Angelegenheit geworden ist. Mit einer eigenmächtig handelnden Vermieterin, die im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Mieterin den Hahn zudrehte, hatte es das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) zu tun.
Ein befristeter Gewerbemietvertrag über Büroräume enthielt Verlängerungsoptionen. Ob eben jene Verlängerungsoptionen wirksam ausgeübt worden waren, war der Kern im Streit zwischen Mieterin und Vermieterin. Im Zuge dieser Unstimmigkeiten erklärte die Vermieterin dann mehrfach die Kündigung. Die Mieterin nutzte die Räume dennoch weiter, behielt dabei aber auch die Zahlungen von Mietzins und Betriebskosten im Voraus bei. Schließlich erhob die Vermieterin eine Räumungsklage und stellte noch während des Räumungsprozesses die Wasserversorgung ein. Dagegen beantragte die Mieterin dann den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Das OLG entschied, dass die Mieterin die Wiederherstellung der Wasserversorgung und die Unterlassung der Versorgungssperre verlangen konnte. Stellt der Vermieter von Büroräumlichkeiten in einem laufenden Räumungsprozess die Wasserversorgung ab, kann der Mieter hiergegen in der Regel im Wege der einstweiligen Verfügung vorgehen, wenn er sowohl den Mietzins als auch die Betriebskostenvorauszahlungen weiterhin zahlt. Für die Mieterin bestand ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Wasserversorgung, da die Nutzung der Geschäftsräume ohne diese nicht möglich war. Insbesondere waren ohne Leitungswasser weder Handwaschbecken noch die WC-Spülung oder die Küche zu betreiben, so dass die Mitarbeiter dort nicht im vertretbaren Sinne arbeiten konnten. Durch die hierdurch bedingte Einstellung des Betriebs drohten der Mieterin erhebliche Umsatzausfälle. Auf der anderen Seite entstand dem Verfügungsbeklagten kein Schaden durch die Weiterversorgung, da sowohl die Miete als auch die Nebenkostenvorauszahlungen gezahlt wurden.
Hinweis: Vermieter, die so oder ähnlich handeln, müssen sich nicht wundern, wenn sie eine einstweilige Verfügung kassieren. Daneben kommt übrigens auch häufig eine Strafbarkeit in Betracht.
Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 05.02.2025 - 4 U 95/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Milieuschutzgebiete: Behutsame Anhebung der Ausstattung auf durchschnittliche Standards möglich
Milieuschutzgebiete sind städtebauliche Gebiete, die die bestehende Wohnbevölkerung vor Verdrängung schützen und die soziale Zusammensetzung des Gebiets erhalten sollen. Sie werden durch städtebauliche Verordnungen, insbesondere im Rahmen des Baugesetzbuchs festgelegt. Bauliche Änderungen bedürfen in Milieuschutzgebieten folglich stets einer behördlichen Genehmigung. Ein Thema, mit dem sich das Verwaltungsgericht (VG) Berlin naturgemäß gut auskennt.
In diesem Fall ging es um ein Schutzgebiet in Berlin-Mitte, einen bundesweiten Hotspot der sogenannten Gentrifizierung, deren Folgen Anlass für den Milieuschutz gaben. Eine Eigentümerin wollte im Badezimmer einer Wohnung ein Stand-WC durch ein an der Wand hängendes WC ersetzen und einen Handtuchheizkörper einbauen. Eine andere Eigentümerin wollte zudem den Anbau von 13 Balkonen von jeweils 4 m² an die Wohnungen ihres Mehrfamilienhauses durchsetzen. Als das Bezirksamt die Genehmigungen versagte, klagten beide Eigentümerinnen.
Das VG gab den Klagen statt. Das Bezirksamt muss die Genehmigungen erteilen. Wandhängende WCs und Handtuchheizkörper in Standardausführung sowie Balkone in der Größe von lediglich 4 m² sind nach Ansicht der Richter in Milieuschutzgebieten genehmigungsfähig, weil sie der Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung dienen.
Hinweis: Es handelt sich sicherlich um ein zeitgemäßes Urteil. Sollen Modernisierungen vorgenommen werden, haben Eigentümer natürlich das "Milieu" in den entsprechenden Gebieten zu berücksichtigen. Eine behutsame Anhebung des Ausstattungsstandards ist jedoch möglich.
Quelle: VG Berlin, Urt. v. 02.04.2025 - VG 19 K 17/22(aus: Ausgabe 06/2025)
- Rücktritt vom Kaufvertrag? Zu viel Formaldehyd in Raumluft eines 70er-Jahre-Fertighauses
Einem Immobilienverkäufer darf - verkürzt gesagt - das Verschweigen eines Mangels nicht angelastet werden, nur das Lügen darum. Wenn also - ebenso verkürzt - etwas nicht erwähnt bzw. nachgefragt wird, macht der im Kaufvertrag enthaltene Haftungsausschluss das, was er soll: Haftung ausschließen. Wer sich beim Immobilienkauf trotz mangelnder Fachkenntnisse also allein auf sein Bauchgefühl verlässt, zieht wie hier vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) selbst bei Formaldehyd in der Raumluft den Kürzeren.
Der Kläger hatte ein Fertighaus aus den 1970er-Jahren gekauft. Einen Monat vor Abschluss des Kaufvertrags hatte er das Haus besichtigt. Im Kaufvertrag war auch ein Haftungsausschluss enthalten. Die Schlüsselübergabe erfolgte rund zwei Monate nach Abschluss des Vertrags. Weitere fünf Monate später wurde die Verkäuferin von dem Käufer aufgefordert, Schäden anzuerkennen. Das Haus sei mangelhaft, da es mit krebserregenden Substanzen belastet sei. Innerhalb der Wohnräume bestehe eine extreme Geruchsbelastung. Schließlich klagte der Käufer. Im Verfahren behauptete er, dass die Raumluftanalyse einen zu hohen Wert an Formaldehyd und Lindan ergeben habe. Er sei mit seiner Familie ausgezogen. Die Geruchsbelastung sei ihm erst nach Abschluss des Kaufvertrags aufgefallen. Es handele sich um einen spezifischen Geruch, der sämtlichen Kleidungsstücken anhafte. Die Verkäuferin behauptet dagegen, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Geruchs- oder eine Schadstoffbelastung gegeben habe.
Die Klage des Käufers wurde abgewiesen. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Wenn ein gemachter Sachvortrag in seiner Gesamtheit eine feststehend unzureichende, entstellende oder verharmlosende Aufklärung zum Inhalt hätte, läge eine Aufklärungspflichtverletzung vor. Daher war es hier unerheblich, ob das Fertighaus die behaupteten Mängel einer Geruchsbelästigung sowie einer Schadstoffbelastung mit Formaldehyd und Lindan aufgewiesen hat. In jedem Fall konnten sich die Verkäufer auf den zwischen den Parteien vereinbarten Haftungsausschluss des notariellen Kaufvertrags berufen.
Hinweis: Vor dem Kauf eines Hauses ist die Besichtigung mit einer fachkundigen Person zu empfehlen, am besten mit einem Gutachter. Natürlich sind das zusätzliche Kosten, die jedoch schnell vor bösen Überraschungen schützen können, wie dieser Fall zeigt.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 17.02.2025 - 22 U 117/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Unbefugte Gebrauchsüberlassung: Vermieterzustimmung zur Aufnahme eines Familienmitglieds gilt nicht für alleinige Nutzung
Im Mietrecht gibt es häufig Pläne, die eine Zustimmung des Vermieters benötigen, ohne dass dieser eigentlich viel dagegen einwenden darf. Der Wunsch, Untermieter aufzunehmen, gehört dazu. Dass aber selbst Verwandten, die zur angefragten und genehmigten Untermiete mit einziehen, damit nicht auch die alleinige Nutzung der Wohnung eingeräumt wird, zeigt dieser Fall des Amtsgerichts Frankfurt am Main (AG).
Ein Mieter hatte mit Genehmigung der Vermieterin seinen Neffen in die Wohnung aufgenommen. Fünf Jahre später erhielt die Vermieterin schließlich Kenntnis davon, dass der ursprüngliche Mieter ausgezogen war und die Wohnung seinem Neffen zum alleinigen Gebrauch überlassen hatte. Eine Einwohnermeldeamtsanfrage bestätigte dies. Die Vermieterin bat daraufhin um Stellungnahme, worauf nicht reagiert wurde. Schließlich kündigte sie das Mietverhältnis wegen unbefugter Gebrauchsüberlassung fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgerecht und legte eine Räumungsklage gegen den Mieter und den Neffen ein.
Der Klage wurde vor dem AG stattgegeben. Auch in Fällen, in denen der Vermieter zuvor zugestimmt hat, einen nahen Familienangehörigen in die Wohnung mit aufzunehmen, darf diesem die Wohnung nicht zum alleinigen Gebrauch überlassen werden. Andernfalls liegt eine unbefugte Gebrauchsüberlassung vor und damit eine Kündigungsmöglichkeit für den Vermieter.
Hinweis: Wer eine Wohnung untervermieten möchte, benötigt in aller Regel die Zustimmung des Vermieters. Der wiederum ist seinerseits in den meisten Fällen dazu verpflichtet, die Zustimmung zu erteilen.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.02.2025 - 33093 C 422/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- 196 Tage Nutzungsausfall: Verzögerungstaktik wird für Versicherung zur teuren Angelegenheit
Gut ist es, im Ernstfall versichert zu sein. Blöd ist es, wenn die gegnerische Versicherung die Regulierung eines unverschuldeten Schadens nicht nur in die Länge zieht, sondern auch noch versucht, dem Geschädigten den ein oder anderen Schwarzen Peter zuzuschieben. Gut Ding wollte hier nicht nur Weile haben, sondern wurde dank des Landgerichts Osnabrück (LG) letztlich zu einer richtig teuren Angelegenheit für den Versicherer.
Ein Autofahrer erlitt mit seinem sehr hochwertigen Fahrzeug einen Verkehrsunfall. Die Erklärung der Kostenübernahme durch die gegnerische Versicherung zog sich dann über einen sehr langen Zeitraum. Erst wurde eingewandt, dass der Unfallhergang unklar sei. Dann wurde eine Dash-Cam-Aufzeichnung übermittelt, deren Daten angeblich nicht verwertbar seien, so dass der Versicherer die Freigabe der Kostenübernahme nicht erteilte. Schließlich wurde seitens der Versicherung nach geraumer Zeit ein eigener Gutachter eingesetzt. Als die Kostenübernahme daraufhin endlich erfolgte, wurde dann auch der Reparaturauftrag erteilt. Aufgrund organisatorischer Probleme zog sich auch noch die anschließende Reparatur in die Länge. Neben anderen Forderungen machte der Geschädigte daraufhin Nutzungsausfallentschädigung für 196 Tage à 175 EUR pro Tag geltend - also satte 34.300 EUR. Die Versicherung verweigerte die Zahlung mit dem Hinweis, der Mann hätte sich ein Interimsfahrzeug anschaffen können oder seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen müssen.
Das LG gab dem Geschädigten recht. Zwar sei es richtig, dass unter normalen Umständen nicht immer auf die Kostenübernahme der Versicherung gewartet werden dürfe. Hier aber habe der Geschädigte bereits mit der Schadensmeldung darauf hingewiesen, dass er selbst die Reparatur nicht vorfinanzieren könne. Einwendungen seitens der Versicherung erfolgten daraufhin nicht. Zudem habe die Versicherung die Regulierung wegen unterschiedlicher Schadensschilderungen abgelehnt, so dass zu befürchten war, dass nicht alles erstattet werde. Auch musste die Vollkaskoversicherung nicht in Anspruch genommen werden - deren Sinn und Zweck sei schließlich nicht die Entlastung des Schädigers. Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass der Verlust der günstigen Schadensfreiheitsklasse gedroht hätte. Zu guter Letzt habe sich der Geschädigte auch kein Interimsfahrzeug anschaffen müssen. Schließlich sei gar nicht absehbar gewesen, dass sich die Regulierung so lange hinziehen würde. Auch die Verzögerung der Reparatur konnte der Geschädigte nicht beeinflussen.
Hinweis: Das Oberlandesgericht Schleswig hat in einer Entscheidung vom 16.04.2024 (7 U 109/23) entschieden, dass der Geschädigte sich im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht dann ein Interimsfahrzeug anzuschaffen hat, wenn ein längerer Nutzungsausfall aufgrund einer sich verzögernden Reparatur absehbar ist (hier zehn Monate wegen der Corona-Pandemie und den daraufhin erfolgten langen Lieferzeiten).
Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 12.02.2025 - 5 O 2598/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Ausgewertete Fallakte: Einsichtsrechte im Bußgeldverfahren beim Vorwurf der Geschwindigkeitsübertretung
Bei einem vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß ist es schwer, genaue Einsicht in die erfassten Daten zu erhalten. Die auf Überlassung der sogenannten Falldatei gerichtete Rechtsbeschwerde wurde im folgenden Fall zwar verworfen. Doch mit seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nun grundsätzlich geklärt, wie eine Überprüfung des vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes erfolgen kann.
Der Betroffene war wegen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 27 km/h zu einem Bußgeld von 240 EUR verurteilt worden. Sein Verteidiger begehrte im Rahmen des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde die Überlassung der sogenannten Falldatei durch die Zentrale Bußgeldstelle in Kassel. Diesen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das erstinstanzliche Urteil hat das OLG zwar verworfen, da die vom Verteidiger erhobene Rüge prozessual unzureichend erhoben worden und damit unzulässig sei. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat der Senat jedoch zum Anlass genommen, grundsätzlich zusammenzufassen, wie die Betroffenen Einsicht in ihre sogenannte Falldatei erhalten können.
Die von den Messgeräten erzeugte digitale Falldatei ist Ausgangspunkt aller Geschwindigkeitsvorwürfe mit zugelassener Messtechnik. Diese verschlüsselte Datei enthält den amtlichen Messwert und das Messbild. Zu ihrer Auswertung bedarf es deshalb eines zugelassenen Auswertungsprogramms und entsprechender Schlüssel. Beides liegt in Hessen bei der Zentralen Bußgeldstelle in Kassel vor. Die Bußgeldbehörde hat vor Erlass eines Bußgelds grundsätzlich die Tragfähigkeit der Beweismittel zu prüfen. Dies macht sie, indem sie die digitale verschlüsselte Falldatei entschlüsselt und mit dem zugelassenen Auswertungsprogramm auswertet. Dadurch entsteht eine aus Messbild und Messwert bestehende lesbare Version. Der Messwert wird dem Objekt auf dem Messbild zugeordnet, und somit wird der notwendige Kontext zwischen der gefahrenen Geschwindigkeit (amtlicher Messwert), dem Täterfahrzeug (Objekt) und dem verantwortlichen Fahrer hergestellt. Die Auswertung der Falldatei muss jederzeit von allen Verfahrensbeteiligten - Gericht, Staatsanwaltschaft, Betroffener, Verteidiger - zur Prüfung eigenständig wiederholt werden können. Deshalb muss die Bußgeldstelle die Falldatei, das dazu notwendige zugelassene Auswertungsprogramm und die entsprechenden Schlüssel vorhalten. Der Betroffene eines Bußgeldbescheids kann selbst auch ohne Verteidiger seine Rechte im Bußgeldverfahren wahrnehmen und die Zuordnung des amtlichen Messwerts zu seinem Kraftfahrzeug und des Messbilds zu ihm als Fahrer anhand seiner Falldatei überprüfen. Dafür kann er entweder nach Terminvereinbarung bei der Bußgeldbehörde die unausgewertete Falldatei einsehen und mit dem dort vorgehaltenen Auswertungsprogramm und Schlüssel eigenständig auswerten. Alternativ kann er die Übersendung einer ausgewerteten Falldatei in lesbarer Version auf eigene Kosten beantragen. In diesem Fall muss auf die Authentizität vertraut werden.
Hinweis: Das OLG hat die Einsichtsrechte im Bußgeldverfahren beim Vorwurf einer Geschwindigkeitsübertretung geklärt. Demnach muss der Betroffene oder sein Anwalt die korrekte Zuordnung und Auswertung der Messdaten anhand der Falldatei überprüfen können. Die nicht ausgewertete Falldatei ist aber nicht Teil der Verfahrensakte und damit nicht vom Einsichtsrecht umfasst. Sie dient nur als Basis für die Auswertung.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.02.2025 - 2 Orbs 233/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Fiktive Abrechnung: Vortrag seitens des Klägers zu angefallenen Reparaturkosten nicht notwendig
Zur sogenannten fiktiven Abrechnung wird im Schadensfall ermittelt, welcher Betrag für die Schadensbeseitigung am Fahrzeug nötig ist. Dieser Betrag gilt - egal, ob der Geschädigte den Schaden damit beseitigen lässt, und wenn ja, für welchen tatsächlichen Betrag. Dass der gegnerische Versicherer hingegen darauf besteht, dass der im Reparaturfall angefallene Betrag nachgewiesen und auch nur dieser dann beglichen wird, stieß vor dem Bundesgerichtshof (BGH) auf Widerstand.
Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall seines in Deutschland zugelassenen Fahrzeugs ein Gutachten eingeholt, das Reparaturkosten von 3.000 EUR netto auswies. Während eines Aufenthalts in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig reparieren - und zwar fach- und sachgerecht. Zu den Reparaturkosten machte er hingegen keine Angaben. Seine Klage auf Schadensersatz - unter anderem die im Gutachten festgestellten Reparaturkosten - hat das Amtsgericht Meinerzhagen (AG) zurückgewiesen. Die Klage sei laut AG unschlüssig, da der Kläger nur die in der Türkei tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen könne. Und eben dazu habe er nichts vorgetragen. Auf die Berufung des Klägers hin hat dann das Landgericht Hagen dieses Urteil teilweise abgeändert und dem Kläger die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zugesprochen (unter Berücksichtigung einer Haftungsquote in Höhe von 40 %). Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten war erfolglos.
Der BGH stellte klar, dass es keine Verpflichtung für den Kläger gibt, zu den tatsächlichen Reparaturkosten vorzutragen. Dem Geschädigten kann nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder mangels Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden. Richtschnur für den vom Schädiger zu leistenden Ersatz sind nicht die vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten, sondern der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag. Bei der Ermittlung dieses Betrags sind im Rahmen der fiktiven Abrechnung Gesichtspunkte, die eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) betreffen, grundsätzlich irrelevant.
Hinweis: Der BGH stellt klar, dass die Rechte der Geschädigten bei der fiktiven Abrechnung im Hinblick auf eine nachfolgende Reparatur nicht beschnitten werden dürfen. Zu erstatten ist der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag, nicht tatsächlich entstandene Reparaturkosten.
Quelle: BGH, Urt. v. 28.01.2025 - VI ZR 300/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Hinterlegung der Abschleppkosten: Wer privaten Stellplatz zuparkt, zahlt für Rückgabe seines Pkw
Seinen Pkw auf privatem Gelände einfach so nach Gusto abzustellen, ist ebenso wenig anzuraten wie im öffentlichen Raum, und zwar auch ohne polizeilich initiierte Folgen. Das zeigt auch das folgende Urteil des Amtsgerichts München (AG), das Licht in die Tiefgaragensituation brachte, die zu diesem Gerichtstermin führte.
Die Klägerin parkte ihren Pkw in einer Tiefgarage auf einer privaten Stellplatzzufahrt. Der Nutzer des Stellplatzes, den die Klägerin somit zuparkte, beauftragte daraufhin ein Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs. Das schleppte den Pkw ab und übersandte der Klägerin eine Rechnung in Höhe von etwa 765 EUR. Die Klägerin hinterlegte den Rechnungsbetrag beim AG und erhielt ihren Pkw daraufhin zurück. Daraufhin verklagte sie allerdings das Abschleppunternehmen auf Bewilligung der Freigabe des hinterlegten Geldes zu ihren Gunsten - oder deutlicher: Sie wollte die 765 EUR zurück. Sie ging nämlich davon aus, dass das Abschleppen nicht notwendig gewesen sei. Das Abschleppunternehmen wiederum verklagte die Klägerin auf Bewilligung der Freigabe des hinterlegten Geldes zu Gunsten des Abschleppunternehmens, denn der Abschlepper war der Überzeugung, der hinterlegte Betrag stünde ihm zu.
Das AG hat dem Abschleppunternehmen Recht gegeben. Zur Überzeugung des Gerichts stand fest, dass die Klägerin ihren Pkw so abstellte, dass der Stellplatznutzer mit seinem Kfz nicht aus der Parkfläche herausfahren konnte. Das Gericht ging weiterhin davon aus, dass das Fahrzeug der Klägerin die Ausfahrt nicht nur kurzzeitig blockierte. Dies ergab sich aus dem geschilderten Zeitablauf von der Alarmierung der Beklagten bis zum tatsächlichen Abschleppvorgang. In diesem Vorgang liegt eine Eigentumsverletzung am Pkw des Stellplatznutzers, da er diesen in diesem Zeitraum nicht bestimmungsgemäß benutzen konnte. Der Stellplatznutzer war auch nicht gehalten, über einen Anruf bei der Polizei die Identität der Klägerin zu erforschen und diese zum Wegfahren zu bewegen. Das Falschparken der Klägerin erfolgte zudem auf privatem Grund, so dass keine originäre polizeiliche Aufgabe bestand.
Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig. Wer in einer Tiefgarage einen privaten Stellplatz so zuparkt, dass dem Stellplatznutzer die Ausfahrt unmöglich ist, muss damit rechnen, dass sein Fahrzeug abgeschleppt wird und er die Kosten hierfür tragen muss.
Quelle: AG München, Urt. v. 20.01.2025 - 191 C 19243/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Kein "doppeltes" Regelfahrverbot: Wenn der Verkehrssünder Erziehungswirkung des kürzlich beendeten Fahrverbots erkennen lässt
Wer kurz hintereinander gleich zweimal übers Ziel hinausschießt, muss auch zweimal bestraft werden - oder etwa nicht? Das Amtsgericht Dortmund (AG) setzte im folgenden Fall auf Augenmaß. Denn wenn unterstellt werden darf, dass eine erst kurz vor Gerichtstermin verbüßte Strafe die gewünschte Wirkung erzielt hat, kann von einem erneuten Fahrverbot abgesehen werden. Folgenlos blieb der zweite Verstoß dennoch nicht.
Der Anlass für den Termin vor dem AG ist schnell erklärt: Der Betroffene überschritt am 29.08.2024 innerorts mit seinem Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 32 km/h. Deswegen erging gegen ihn ein Bußgeldbescheid über 260 EUR, verbunden mit einem Fahrverbot von einem Monat. Hiergegen legte er Einspruch ein.
Das AG sah in der Tat von der Verhängung eines Fahrverbots ab, erhöhte hingegen die Geldbuße auf 500 EUR. In der Verhandlung stellte sich anhand des verlesenen Fahreignungsregisterauszugs nämlich heraus, dass die Bußgeldbehörde in Magdeburg gegen den Betroffenen bereits wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldbuße von 600 EUR festgesetzt hatte - ein Fahrverbot von zwei Monaten inklusive. Zudem konnte festgestellt werden, dass der Betroffene seinen Führerschein am 13.12.2024 bei der Polizei abgegeben hatte. Die Verbotsfrist endete mit dem 12.02.2025 erst kurz vor dem Termin in Dortmund.
Für das dortige AG stellte sich nun die Frage des Umgangs mit der Tatsache, dass nach der hier verhandelten Tat bereits eine zweimonatige Fahrverbotsvollstreckung in anderer Sache stattgefunden hatte. Nun war der Betroffene selbst das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag für die Entscheidung des Gerichts gab. Da sich der Mann durch die erst vor etwa drei Wochen abgelaufene zweimonatige Fahrverbotsvollstreckung erkennbar beeindruckt zeigte, erschien es dem AG in diesem Fall ausreichend, die Geldbuße zu erhöhen und von einem weiteren Fahrverbot abzusehen. Durch die bereits erfolgte Fahrverbotsanordnung war die beabsichtigte Erziehungswirkung bei dem Betroffenen offenbar bereits eingetreten.
Hinweis: Von einem Regelfahrverbot kann unter Anwendung des § 4 Abs. 4 Bußgeldkatalog-Verordnung und damit einhergehender Erhöhung der Geldbuße dann abgesehen werden, wenn zwischen der Anlasstat und der Verurteilung ein anderes zweimonatiges Fahrverbot vollstreckt wurde.
Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 06.03.2025 - 729 OWi-256 Js 159/25 -16/25(aus: Ausgabe 06/2025)
- Augen auf im Supermarkt: Sturz über Preiseinschub nicht durch Verletzung von Verkehrssicherungspflichten verursacht
Mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten ist es immer wieder so eine Sache - war das fahrlässig, und wenn ja, von welcher Seite überhaupt? Und da jeder Fall einzeln betrachtet werden muss, war das Landgericht München II (LG) gefragt, sich nach einem Sturz in einem Supermarkt auf Ursachenforschung zu begeben.
Die klagende Kundin eines Supermarkts hatte in selbigem einen Gang mit Aktionsartikeln beschritten, als sie mit ihrem Fuß an einen leicht hervorstehenden Einschub stieß, der zur Preiskennzeichnung an einer Europalette befestigt war. Dieser Preisschildeinschub löste sich, die Frau stürzte und erlitt dabei einen Bruch des Oberschenkelknochens. Schließlich klagte sie gegen den Supermarktbetreiber auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Denn für sie war die Sache klar: Der Betreiber hatte die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten nicht beachtet.
Das LG war anderer Ansicht und wies die Klage ab, da es keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten feststellen konnte. Denn Kameraaufnahmen belegten, dass von der Europalette kein Risiko ausgegangen war. Dass das Preisschild nicht angeschraubt war, habe das Risiko nicht nennenswert erhöht. Im Gegensatz zur Behauptung der Kundin stand der Preiseinschub auch nicht ab, sondern lag bündig an der Palette an. Das LG wies zudem darauf hin, dass eine 100%ige Sicherheit in einem Supermarkt auch prinzipiell nicht erwartet werden könne.
Hinweis: Ob in einem Ladengeschäft die Verkehrssicherungspflichten beachtet werden oder nicht, lässt sich häufig erst im Nachhinein durch ein Gericht feststellen. Natürlich kann keine 100%ige Sicherheit in einem Supermarkt erwartet werden. Trotzdem lohnt es sich in solchen Fällen, den Rechtsanwalt des Vertrauens zu fragen, ob ein Rechtsstreit zur Erlangung eines Schmerzensgeldes und von Schadensersatz Aussicht auf Erfolg hat.
Quelle: LG München II, Urt. v. 25.02.2025 - 1 O 576/24(aus: Ausgabe 06/2025)
- Fisch gegen Amphibie: Forellenzüchter wehrt sich als Anlieger erfolgreich gegen Straßensperrung für Krötenwanderung
Selbst wenn die Überschrift in ihrer Kürze lustig anmuten mag, letztlich war die Maßnahme, die ein Landkreis hier erließ, für einen gewerblichen Straßenanlieger existenzgefährdend. Daher war im Folgenden auch das Verwaltungsgericht Osnabrück (VG) gefragt. Es musste sich mit einer behördlich angeordneten Straßensperrung zugunsten einer Krötenwanderung beschäftigen.
Der Landkreis Osnabrück hatte auf Antrag des NABU e.V. seine straßenverkehrsrechtliche Zustimmung zur teilweisen Sperrung der Bergstraße in Bad Iburg vom 01.02. bis zum 30.04.2025, jeweils von 18 Uhr bis 8 Uhr, erteilt. Die Maßnahme sei zum Schutz der Amphibien erforderlich und angemessen. Dagegen klagte ein Anlieger, der an der Straße eine Forellenzucht und den Handel einschließlich der Direktvermarktung betrieb. Er hielt das Ganze für alles andere als angemessen. Und da lag er nicht falsch.
Das VG war auf der Seite des Forellenzüchters und beschloss die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die teilweise Sperrung der Bergstraße. Die Behörde wurde einstweilen verpflichtet, unverzüglich die Verkehrsschilder zu entfernen und die Schranken zu öffnen. Die Sperrung war schlichtweg unverhältnismäßig und außerdem zu unbestimmt. Insbesondere hätten die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen des Antragstellers stärker berücksichtigt werden müssen.
Hinweis: Das Vorgehen gegen behördliche Anordnungen ist in der Regel erfolgversprechender, wenn ein Rechtsanwalt das Verfahren begleitet.
Quelle: VG Osnabrück, Beschl. v. 29.03.2025 - 1 B 10/25(aus: Ausgabe 06/2025)
- Geplatzter Haustraum: Was eine Nichtabnahmeentschädigung ist und wann sie anfällt
Wenn ein Hauskauf wider Erwarten doch nicht zustande kommt, das Darlehen jedoch bereits vereinbart wurde, verlangt die Bank häufig eine sogenannte Nichtabnahmeentschädigung. Wer im Ernstfall dafür haften muss - etwa, wenn der Verkäufer wie hier kurz vor Abschluss abspringt -, hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich entschieden.
Ein Ehepaar beabsichtigte, ein Einfamilienhaus zu kaufen. Als die angefragte Bank die Finanzierung über 450.000 EUR ablehnte, kontaktierte das Paar einen Darlehensvermittler. Daraufhin unterzeichneten sie einen Darlehensvertrag über 350.000 EUR und ein Beratungsprotokoll. Darin war folgender Hinweis enthalten: "Wichtig! Unterzeichnen Sie Bau-, Kauf- und Finanzierungsverträge erst, wenn alle wichtigen Faktoren Ihres Bau- oder Kaufvorhabens geklärt und schriftlich festgehalten wurden. Ansonsten drohen bei einer Rückabwicklung hohe Kosten, wie Vertragsstrafen und Nichtabnahmeentschädigungen."
Vier Wochen später unterzeichnete das Paar dann noch ein KfW-Darlehen über 100.000 EUR. Schließlich teilten sie dem Verkäufer mit, dass nun ein Notartermin möglich wäre. Der Verkäufer informierte sie jedoch darüber, dass er das Haus aus persönlichen Gründen doch nicht verkaufen wolle. Die Bank trat daraufhin vom Darlehensvertrag zurück und verlangte von den potentiellen Käufern eine Nichtabnahmeentschädigung von 35.862,29 EUR, die das Paar vollständig bezahlte. Den Betrag forderten sie von dem Darlehensvermittler als Schadensersatz zurück und klagten. Das Landgericht hat den Darlehensvermittler zur Zahlung der Hälfte verurteilt, das Oberlandesgericht (OLG) daraufhin die Klage insgesamt abgewiesen.
Der BGH hob als letzte Instanz das OLG-Urteil nun auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den dortigen Senat zurück. Denn ein nicht gebundener Vermittler von Immobiliarverbraucherdarlehensverträgen schuldet seinen Kunden eine umfassende und richtige Aufklärung über die in Betracht kommenden Finanzierungsmöglichkeiten. Im Rahmen der geschuldeten Aufklärung darf ein reales Risiko (hier: Nichtzustandekommen des Grundstückskaufvertrags nach bereits geschlossenem und nicht mehr widerruflichem Darlehensvertrag) nicht derart verharmlost werden, dass der Eindruck entsteht, es sei nur theoretischer Natur. Zu einer umfassenden Aufklärung gehört in einem solchen Fall ein Hinweis auf die Möglichkeit einer zeitlichen Staffelung: Es wäre in Betracht gekommen, dass die Käufer ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen später abgeben oder den Notartermin vorziehen.
Hinweis: Nun wird also die Vorinstanz die Angelegenheit nochmals prüfen und entscheiden müssen. Alles spricht dafür, dass der Makler des Darlehensvertrags wegen Nichterfüllung der Aufklärungspflichten zu zahlen hat.
Quelle: BGH, Urt. v. 20.02.2025 - I ZR 122/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Minderjährige Sportler: EuGH bestätigt potentielle Missbräuchlichkeit von Vertragskonditionen bei Nachwuchsverpflichtungen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich den lettischen Fall eines jungen Sportlers bewertet. Und man ahnt es: Wenn der EuGH von einem Unionsmitglied angefragt wird, entfaltet das Urteil auch in der übrigen Union seine Wirkung. Da sich der Fall um den Sportnachwuchs und seine Vertragskonditionen dreht, ist er für das sportverrückte Deutschland sicherlich nicht uninteressant.
Im Jahr 2009 schloss ein minderjähriger Sportler einen Vertrag mit einem lettischen Unternehmen ab. Dabei wurde er durch seine Eltern vertreten. Dem Jungen sollte dabei eine erfolgreiche Karriere als Berufssportler im Basketball ermöglicht werden. Der Vertrag war für die Dauer von 15 Jahren abgeschlossen und sah eine Reihe von Dienstleistungen vor - unter anderem Training, sportmedizinische Leistungen, psychologische Begleitung sowie Unterstützung im Bereich Marketing, Rechtsberatung und Buchhaltung. Dafür sollte der Junge bei erfolgreicher Profikarriere 10 % sämtlicher während der Laufzeit des Vertrags erzielten Nettoeinnahmen aus Sportveranstaltungen, Werbung, Marketing und Medienauftritten im Zusammenhang mit dem betreffenden Sport zahlen, sofern seine Einnahmen mindestens 1.500 EUR pro Monat betrugen. Der Junge wurde zwischenzeitlich ein erfolgreicher Profibasketballspieler und musste an das Unternehmen mehr als 1,6 Millionen EUR zahlen. Dieses Geld verlangt er nun zurück. Die lettischen Gerichte hielten die Vertragsklausel durchaus für missbräuchlich, setzten jedoch das Verfahren aus und legten dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH hielt die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für anwendbar. Eine Vertragsklausel, die einen jungen Sportler verpflichtet, einen Teil seiner Einnahmen zu zahlen, falls er Berufssportler werde, könne durchaus missbräuchlich sein. Das nationale Gericht muss nun die Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel prüfen - unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Klarheit und Verständlichkeit in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen dieser Verpflichtung. Dabei kann der Umstand, dass der Sportler zum Zeitpunkt des Abschlusses minderjährig gewesen war und dieser Vertrag von seinen Eltern in seinem Namen geschlossen wurde, für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit relevant sein.
Hinweis: Immer wieder werden Vertragsklauseln in Verträgen von Sportlern von den Gerichten für unwirksam erklärt. Im Zweifel kann dies ein Rechtsanwalt genau beurteilen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 20.03.2025 - C-365/23(aus: Ausgabe 06/2025)
- Verweigerter Kreuzfahrtantritt: Positiver PCR-Test kann in Risikosphäre der reisenden Vertragspartei fallen
Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich erneut mit der Corona-Pandemie beschäftigen - und das sicherlich nicht zum letzten Mal. Wer meint, es müsse doch mal gut sein, dem sei gesagt, dass die meisten der diesbezüglichen Urteile auch für andere ansteckende Krankheiten interessant sein werden. Die Frage hier war, ob ein positiver PCR-Test eines Reisenden im Ausland Rückzahlungsansprüche bedingt.
Ein Mann hatte für sich, seine Ehefrau und den damals zweijährigen gemeinsamen Sohn eine Kreuzfahrt, beginnend auf Mallorca, gebucht. Den Reisepreis in Höhe von 1.400 EUR hatte er vollständig bezahlt. Der PCR-Test, dem sich der Sohn des Mannes bei der Einschiffung am Morgen laut Anordnung des spanischen Gesundheitsministeriums unterziehen musste, ergab ein positives Ergebnis. Der Familie des Klägers wurde daraufhin die Teilnahme an der Reise verweigert. Nach zwei Tagen in einem Quarantänehotel auf Mallorca flog die Familie schließlich wieder nach Hause. Nun wollte der Mann die Rückzahlung des Reisepreises erhalten und eine Entschädigung in gleicher Höhe wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Weiterhin ging es ihm um Ersatz von Kosten für den Flug, die Unterbringungsbeförderung und Ähnliches. Das Geld erhielt er allerdings bislang nicht.
Der BGH sagte dazu, dass Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände sind. Deshalb habe der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den Reisepreis nicht verloren. Unter diesen Prämissen geht der Fall somit zurück an die Vorinstanz.
Hinweis: Der Kläger wird mit großer Wahrscheinlichkeit seine Klage verlieren.
Quelle: BGH, Urt. v. 18.02.2025 - X ZR 68/24(aus: Ausgabe 06/2025)